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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Stellung, wie sie das nennen, und sprechen darüber, als sei das nichts anderes als ein Bad zu nehmen. Ich habe Typen gesehen, die gerannt sind, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen, nur damit ihre Kameraden nicht langsamer laufen mussten. Ich habe auch welche gesehen, die allein zurückgeblieben sind, um die Verfolger eine Weile aufzuhalten. Und sie alle wussten, was sie taten. Diese Typen haben der Sonne geradewegs ins Antlitz geblickt und sich dabei die Hornhaut verbrannt; sie haben irgendetwas von sich selbst auf den Boden gestellt, wie eine Reisetasche und sich dann nicht mehr gerührt, und zwar in genauer Kenntnis der Sachlage. Ich habe die Chance gehabt, das zu sehen. Danach hatte für mich nichts mehr denselben Sinn, die Angst, der Tod, der Mensch, nichts mehr.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Der Fahrstuhl hielt mit einem leichten federnden Stoß im Erdgeschoss, und die Tür öffnete sich. Wir gelangten auf den Eingangsflur, in dem zahlreiche junge Leute herumstanden.
    Salagnon ging mitten durch die Gruppe hindurch, ohne den Schritt zu verlangsamen oder zu beschleunigen, ohne den Kopf zu senken oder zu recken. Er ging durch die Halle voller junger Leute, so als sei sie leer, stieg über die Beine eines von ihnen hinweg, der in der Türöffnung saß, und entschuldigte sich dabei mit einem vollkommen angemessenen höflichen Wort, und der junge Mann entschuldigte sich aus einem Reflex heraus im gleichen Ton und zog die Beine an.
    Ihnen war der Tod völlig egal, hatte er gesagt; ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was das genau bedeutet. Vielleicht haben sie tatsächlich etwas von sich selbst auf den Boden gestellt, wie er zu mir gesagt hatte, und dann rührte sich endlich nichts mehr. Die jungen Leute grüßten uns mit einem Kopfnicken, das wir erwiderten, doch sie unterbrachen ihre Unterhaltung unsertwegen nicht.
    Als wir nach draußen kamen, schneite es. Wir steckten die Hände in die Taschen unserer Mäntel und gingen durch die Straßen von Voracieux, die nicht nur menschenleer waren, sondern deren Leere auch die Fassaden, die Schönheit und das Leben einschloss, elende Straßen, die nur aus dem weiten, offenen Raum zwischen den Hochhäusern bestanden, Straßen, die durch Verschleiß und mangelnde Instandhaltung beschädigt waren. Die Straßen von Voracieux waren planlos angelegt wie die Städte im Osten: alles war aufs Geratewohl entstanden, nichts passte zueinander. Selbst der Mensch war in diesen Straßen nicht an seinem Platz. Ebenso wenig wie die Vegetation, die sonst ein spontanes Gleichgewicht anstrebt, denn das Unkraut wuchs dort, wo der Boden kahl sein müsste, und Pfade aus nackter Erde verliefen über die Rasenflächen. Der Schnee, der in jener Nacht fiel, verlieh allem wieder eine Form. Er bedeckte alles, rückte alles näher. Ein parkendes Auto wurde zu einer reinen Masse von gleicher Art wie ein Strauch, wie eine flache Halle, in der sich ein kleiner Supermarkt befand, wie eine überdachte Bushaltestelle, in der niemand wartete, wie der Rand eines Bürgersteigs, der bis ans Ende der Avenue führte. Alles waren nur noch papierweiße Formen mit weichen Kanten, einheitlicher Struktur und nahtlosen Übergängen; die Dinge besaßen nur noch eine gemeinsame Präsenz, waren harmonische Buckel unter demselben großen Laken, wie Schwestern unter dem Schnee. Erstaunlicherweise wurden sie durch das Verhüllen vereinigt. Zum ersten Mal gingen wir durch das vereinigte Voracieux, durch das vom Weiß erstickte, stille Voracieux, in dem die Ruhe des Schnees allen Dingen das gleiche Leben verliehen hatte. Wir liefen stumm die Straßen entlang, Schneeflocken legten sich auf unsere Mäntel, hielten einen Augenblick lang das Gleichgewicht auf der Wolle, lösten sich langsam auf und verschwanden.
    »Was will die SIFF denn letztlich?«
    »Ach, nur einfache Dinge, die der gesunde Menschenverstand einem eingibt: Sie will alles untereinander regeln. Wie das in den kleinen Gruppen üblich ist, die sich dem Gesetz nicht verbunden fühlen. Sie will, dass die Starken stark bleiben und die Schwachen schwach, sie will, dass man den Unterschied sieht und dass die Offenkundigkeit zu einem Regierungsprinzip wird. Sie will keine Diskussionen, weil die Offenkundigkeit keine Diskussion zulässt. Für sie ist Gewaltanwendung die einzige Handlung, die sich lohnt; die einzige Wahrheit, weil sie keine Worte erfordert.«
    Mehr sagte er nicht, es schien ihm ausreichend zu sein. Wir gingen durch das vom alles

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