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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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ich spreche, seit ich Victorien Salagnon kennengelernt habe. Ich habe genug von diesem schlecht konzipierten schrägen Großbuchstaben, den man mit einem bedrohlichen Pfeifen ausspricht, und der nicht imstand ist, allein sein Gleichgewicht zu finden: Er neigt sich nach rechts, droht zu fallen, seine unsymmetrischen Querbalken ziehen ihn nach unten; das F bleibt nur stehen, wenn man es mit Gewalt zurückhält. Ich spreche dieses lange, pfeifende F bei jeder Gelegenheit aus, seit ich Victorien Salagnon kenne, ich rede inzwischen über dieses großmäulige Frankreich genauso oft wie de Gaulle, dieser brillante Lügner, dieser geniale Romancier, der es durch seine Feder, durch die Macht des Wortes, verstanden hat, uns einzureden, wir seien die Sieger, dabei waren wir am Boden zerstört. Mit einem simplen literarischen Kunstgriff hat er unsere Schmach in Heroismus verwandelt: Wer hätte gewagt, das nicht zu glauben? Wir haben ihm geglaubt, denn er sagte das so schön. Das hat uns so gut getan. Wir haben im Ernst geglaubt, wir hätten gekämpft. Und als wir uns an den Tisch der Siegermächte gesetzt haben, haben wir unseren Hund mitgebracht, um unseren Reichtum zu zeigen, und haben ihm einen Fußtritt versetzt, um unsere Stärke zu demonstrieren. Der Hund hat gejault, wir haben ihn noch einmal getreten, und anschließend hat er uns gebissen.
    Frankreich spricht man mit einem schlecht konzipierten, pfeifenden Anfangsbuchstaben aus, der ebenso sperrig ist wie das riesige Lothringer Kreuz des Generals in Colombey-les-Deux-Églises. Man hat Mühe, das Wort auszusprechen, die emphatische Größe des ersten Buchstabens hindert einen daran, das Volk der hinterher trippelnden kleinen richtig zu modulieren. Das große F gibt seinen letzten Hauch von sich, der Rest des Wortes hat Mühe, Luft zu schnappen, wie soll man da noch reden?
    Wie soll ich es sagen?
    Frankreich ist eine Art des Aushauchens.
    Jeder gibt hier Seufzer von sich, wir erkennen uns an diesen Seufzern wieder, und manche, die es satt haben, diese vielen Seufzer zu hören, wandern aus. Ich verstehe die Menschen nicht, die weggehen; sie haben ihre Gründe, die kenne ich, aber ich verstehe sie nicht. Ich weiß nicht, warum so viele Franzosen woandershin gehen, warum sie dieses Land verlassen, das zu verlassen ich mir nicht vorstellen kann, ich weiß nicht, warum alle Lust haben wegzugehen. Und doch gehen sie massenweise weg, sie wandern mit schöner Offensichtlichkeit aus, es sind fast eineinhalb Millionen, fünf Prozent, die in der Ferne leben, fünf Prozent der Wähler, fünf Prozent der Erwerbstätigen, ein erheblicher Anteil von uns ist auf der Flucht.
    Ich könnte nie woandershin gehen, könnte nie ohne diese Sprache leben, die mein Atem ist. Ich kann nicht auf meinen Atem verzichten. Andere können das anscheinend, und das verstehe ich nicht. Und daher habe ich einen Auslandsfranzosen gefragt, der ein paar Tage Urlaub hier machte, ehe er wieder dorthin zurückflog, wo er viel mehr Geld verdiente als ich es mir erträumen könnte, ich habe ihn also gefragt: »Hast du nicht Lust zurückzukommen?« Er wusste es nicht. »Vermisst du das hiesige Leben nicht?« Denn ich weiß, dass man anderswo das hiesige Leben sehr liebt, das sagen viele. »Ich weiß nicht«, erwiderte er mit ins Leere gerichtetem Blick, »ich weiß nicht, ob ich wiederkomme. Aber eins weiß ich«, sagte er mit fester Stimme und blickte mir dabei in die Augen, »ich weiß, dass ich in Frankreich begraben werden will.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, so überrascht war ich, wobei antworten eigentlich nicht das richtige Wort ist: Ich wusste nicht, wie ich weiter mit ihm darüber reden sollte. Wir sprachen über andere Dinge, aber seither denke ich noch immer daran.
    Er lebt anderswo, will aber in Frankreich begraben werden. Ich war überzeugt, dass ein toter Körper, der sich durch Seelenruhe und Taubheit, den Verlust des Geruchssinns, Blindheit und allgemeine Unempfindlichkeit auszeichnet, der Erde, in der er sich zersetzt, gleichgültig gegenüberstehe. Das habe ich geglaubt, aber nein, selbst ein toter Körper hängt noch an der Erde, die ihn genährt hat, die gesehen hat, wie er laufen lernte und gehört hat, wie er seine ersten Worte stammelte, mit dieser ganz eigenen Art, den Atemhauch zu modulieren. Frankreich ist weniger eine Lebensart als eine Art des Aushauchens, eine Art, fast zu sterben, ein unkontrolliertes Pfeifen, gefolgt von kaum hörbarem Schluchzen.
    Frankreich ist

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