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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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entweder diskret oder mit dröhnendem Gelächter. Die Schuhe unter dem Tisch drücken.
    Anschließend kommt der Spaziergang. Man fürchtet sich davor, denn man weiß nicht, wohin man gehen soll, und daher geht man an einen sehr bekannten Ort; man sehnt sich danach zu laufen, denn hier bekommt man keine Luft mehr. Man macht den Spaziergang mit zögernden Schritten, mit verhaltenen Schritten, mit stolpernden Schritten und watschelndem Gang, sodass man kaum vorankommt. Es gibt nichts Uninteressanteres als einen gemeinsamen Sonntagsspaziergang. Man kommt nicht voran; die Schritte ziehen sich in die Länge wie die Zeit beim Warten; man tut so, als käme man voran.
    Und endlich kehrt man heim und macht einen kurzen Mittagsschlaf auf dem Rücken vor dem offenen Fenster. Bevor man sich aufs Bett wirft, schleudert man die Schuhe von sich, endlich, die Schuhe, die so drücken, man reißt sie von den Füßen und wirft sie vors Bett auf den Boden. Man knöpft den Kragen auf, öffnet den Gürtel und legt sich auf den Rücken, denn der Bauch ist zu voll. Allmählich lässt die Hitze draußen nach.
    Das Herz klopft etwas zu heftig von all den Anstrengungen: man ist ins Schlafzimmer hinaufgestiegen, hat zu schnell all das gelöst, was die Ausdehnung von Bauch und Hals hemmte, was die Zehen zusammenkrümmen ließ, und hat sich zu energisch mit einem lauten Seufzer aufs Bett geworfen. Das Knarren der Sprungfedermatratze lässt nach, und man kann endlich das stille Zimmer betrachten und einen Blick auf die ruhige Landschaft draußen werfen. Die Halsschlagader pocht ein bisschen zu stark, sie hat Mühe, das zu zuckerhaltige Blut anzutreiben, das nur träge pulsiert, das zu fette Blut, das nur langsam vorankommt und das eher gleitet als fließt. Das Herz schlägt mit Mühe, es ist müde von der Anstrengung. Als man noch aufrecht stand, floss das Blut auf natürliche Weise nach unten, der langsame Spaziergang ließ es leichter zirkulieren; als man am Tisch saß, erhitzte es sich durch das Geschwätz, und der flüchtige Alkohol entlastete es; aber im Liegen zirkuliert das zu dickflüssige Blut nur langsam, gerinnt und staut sich im Herzen. Wenn man so im Schlafzimmer auf dem Rücken liegt, stirbt man an einem Blutstau. Man stirbt undramatisch an Immobilisierung, am Verklumpen des fetten Blutes, denn in der Horizontalen erlahmt die Durchblutung. Der Prozess dauert lange, jedes einzelne Organ bemüht sich zurechtzukommen, und nach und nach sterben alle ab.
    In Frankreich zu sterben ist ein langer Sonntag, ein allmähliches Stillstehen des Blutes, das nicht mehr pulsiert und da bleibt, wo es sich befindet. Der dunkle Strom unserer Abstammung fließt nicht mehr, die Vergangenheit bleibt stehen, nichts rührt sich mehr. Man stirbt. Und das ist gut so.
    Hinter dem offenen Fenster entfaltet sich die sanfte Pracht der Abenddämmerung. Blütendüfte verbreiten sich und verschmelzen miteinander, der Himmel, der ganz zu sehen ist, gleicht einem riesigen Kupfertablett, das die Vögel mit Schlägen von kleinen stoffumwickelten Trommelstöcken vibrieren lassen. Im violetten Halbdunkel, das allmählich aufsteigt, beginnen sie zu singen. Man war gut angezogen, man hat sein Oberhemd nicht befleckt, man hat alles gut überstanden, ohne sich daneben zu benehmen, man hat an diesem Festschmaus mit allen anderen teilgenommen. Aber nun verreckt man an sich stauendem Blut, an einer teigigen Anschwellung der Blutgefäße, die den Kreislauf blockiert, an einem Zusammenschnüren des Herzens, und das hindert einen daran zu schreien. Um Hilfe zu schreien. Aber wer sollte schon kommen? Wer kommt schon zur Stunde des Mittagsschlafs?
    Frankreich ist eine Art, am Sonntagnachmittag zu sterben. Frankreich ist eine Art, im letzten Moment doch nicht zu sterben. Denn die Tür springt auf; junge Leute mit rundem Kopf stürzen in das Zimmer; sie haben das Haar so kurz geschoren, dass nur ein leichter Schatten auf ihrem Schädel zurückbleibt, ihre Schultern spannen ihre Kleider bis zum Zerreißen, ihre Muskeln springen hervor, sie tragen schwere Gegenstände und bewegen sich nur rennend fort. Sie stürzen in den Raum. Hinter ihnen kommt ein älterer, magerer Mann herein, der schreiend Anweisungen gibt, aber nie den Kopf verliert. Er wirkt beruhigend, denn er sieht alles, er kommandiert mit dem Finger und der Stimme, die Wölfe rings um ihn beherrschen sich. Sie stürzen in den Raum, und man fühlt sich sogleich besser; sie geben einem Sauerstoff, und man atmet freier, sie

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