Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
Vom Netzwerk:
sofort zu schmelzen begann. Ich wischte mir die Augen ab, Salagnon rannte weg, und hob dabei Schnee auf, den er kaum zusammenballte, ehe er damit nach mir warf, um seine Flucht zu decken; ich hob ebenfalls Schnee auf und verfolgte ihn, wir rannten schreiend durch den Garten und verwüsteten den ganzen Schneemantel, um uns mit Schneebällen zu bewerfen, die wir immer lockerer ballten, mit weniger Schnee, und immer ungezielter warfen, immer weniger weit, wir liefen lachend und zappelnd durch eine Wolke aus Pulverschnee.
    Die Schlacht war zu Ende, als er mich von hinten packte und mir eine Handvoll Eisklumpen, die er von einem Zweig abgestreift hatte, hinter den Kragen meines Mantels schob. Ich stieß einen schrillen Schrei aus, erstickte halb vor Lachen und ließ mich mit dem Hintern auf den kalten Boden sinken. Er stand vor mir und rang nach Atem. »Ich hab gewonnen! Ich hab gewonnen! Aber jetzt müssen wir aufhören. Ich kann nicht mehr. Und wir haben den ganzen Schnee verbraucht.«
    Wir hatten alles in Unordnung gebracht, alles zertrampelt, unsere Spuren bildeten ein wirres Durcheinander, übrig geblieben waren nur noch mit Erde vermischte formlose Häufchen Schnee.
    »Es wird Zeit, dass wir ins Haus gehen«, sagte er.
    »Es ist schade um den Schnee.«
    Ich stand auf und versuchte mit dem Fuß einen kleinen Haufen zusammenzuschieben, doch das brachte nichts.
    »Man kann die Schneedecke nicht wiederherstellen.«
    »Man muss warten, bis es wieder schneit. Wenn der Schnee fällt, ist das Ergebnis perfekt, aber es ist unmöglich, das nachzumachen.«
    »Das Beste wäre, ihn nicht anzurühren.«
    »Ja, sich nicht zu bewegen, nicht zu gehen, ihn nur anzusehen und sich an seiner Vollkommenheit zu erfreuen. Aber sobald die letzten Flocken gefallen sind, fängt er von sich aus an zu verschwinden. Die Zeit läuft, und diese wunderbare Decke löst sich auf. Diese Art von Schönheit erträgt es nicht, dass man lebt. Lass uns reingehen.«
    Wir gingen ins Haus. Wir klopften unsere Schuhe ab und hängten unsere Mäntel auf.
    »Für Kinder ist es jedes Mal eine große Freude zu verkünden, dass es schneit. Sie stürzen los, schreien es heraus, und das ruft immer eine fröhliche Lebendigkeit hervor: die Eltern lächeln und verstummen, die Schule kann schließen, die ganze Landschaft wird zu einem Spielplatz, den man gestalten kann. Die Welt wird weich und formbar, man kann alles tun, ohne an irgendetwas denken zu müssen und anschließend wärmt man sich auf. Das Ganze dauert nur so lange, wie man entzückt ist, nur so lange wie man braucht, um es auszusprechen. Es dauert so lange wie man verkündet, dass es schneit, und schon ist es vorbei. So ist das mit den Träumen von der Ordnung, junger Mann. Und jetzt lass uns malen.«
    Die wichtigsten Striche beim Zeichnen sind jene, die man nicht ausführt. Sie hinterlassen eine Leere, und nur die Leere lässt den nötigen Platz: Die Leere erlaubt die Beweglichkeit des Blicks und somit des Denkens. Eine Zeichnung besteht aus geschickt verteilten Leerstellen, sie existiert vor allem durch diese innere Beweglichkeit des Blicks. Die Tusche ist letztlich für die Zeichnung etwas Äußerliches, man malt mit nichts.«
    »Ihre chinesischen Paradoxe gehen mir auf die Nerven.«
    »Jede Wirklichkeit, wenn sie auch nur ein wenig interessant ist, kann nur in Paradoxen ausgedrückt werden. Oder in Gesten.«
    »Aber wenn wir schon mal dabei sind, dann können wir doch überhaupt auf Striche verzichten. Ein weißes Blatt ist dann völlig ausreichend.«
    »Allerdings.«
    »Sehr witzig.«
    Durch das Fenster sah man das sanfte Leuchten des verwüsteten Gartens, ein mit unregelmäßigen schwarzen Spuren durchsetztes Schimmern.
    »So eine Zeichnung wäre perfekt, aber zu fragil. Das Leben hinterlässt viele Spuren«, sagte er.
    Ich ließ es dabei bewenden und begann zu malen. Ich machte weniger Striche als gewöhnlich, weniger als beabsichtigt; und das war gar nicht so verkehrt. Und die Striche, die übrig blieben, zeichneten sich wie von selbst um ein tiefer gewordenes Weiß. Das Leben ist das, was übrig bleibt; was die Spuren nicht überdeckt haben.
    Ich kam noch einmal auf die bewaffneten Fanatiker zurück, die sich in schwindelnder Höhe verschanzt hatten, denn sie beunruhigten mich.
    »Mariani ist ein gefährlicher Mann, oder? Seine jungen Typen haben Kriegswaffen, mit denen sie wahllos alle Leute ins Visier nehmen.«
    »Das ist reines Theater. Sie vergnügen sich in kleinem Kreis und posieren fürs Foto.

Weitere Kostenlose Bücher