Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
klappen eine Trage auseinander, legen den reglosen, knapp dem Tode entkommenen Körper darauf und tragen ihn rennend fort. Sie schieben die Trage mit dem angeschnallten erstickenden Körper auf einem Fahrgestell durch den Gang, tragen ihn die Treppe hinunter und bringen ihn in einem Lieferwagen unter, der mit laufendem Motor vor dem Haus steht. Die Fahrtrage ist für all diese Transportarten geeignet. Sie rasen viel zu schnell durch die Stadt, der Lieferwagen legt sich mit heulender Sirene in die Kurve, sie überfahren rote Ampeln, fegen alle Vorfahrtsregeln hochnäsig vom Tisch, halten sich an keine Vorschrift mehr, denn die Zeit ist zu knapp, um sich an Vorschriften zu halten.
Im Krankenhaus rennen sie durch die Gänge, schieben die Fahrtrage, auf der der erstickende Körper liegt, vor sich her, sie rennen, öffnen die Doppeltüren mit einem Fußtritt, rempeln alle an, die nicht schnell genug zur Seite springen, und gelangen schließlich in den sterilen Saal, in dem ein Mann mit einer Gesichtsmaske sie erwartet. Man erkennt ihn nicht, denn sein Gesicht ist hinter der Stoffmaske verborgen, aber an seiner Haltung errät man, wer er ist: Er ist so ruhig, sich seiner Weisheit so sicher, dass man in seiner Gegenwart mit der eigenen Weisheit am Ende ist und verstummt. Er duzt den Chef der jungen Männer. Sie kennen sich. Er nimmt die Sache in die Hand. Frauen mit Gesichtsmasken rings um ihn herum reichen ihm blitzende Instrumente. Er schneidet die Schlagader im Licht eines Scheinwerfers durch, der keine Schatten wirft, er operiert, vernäht die Schnittwunde mit kleinen Stichen, und all das mit der verwirrenden Sanftheit eines Mannes, der Nadelarbeit hervorragend beherrscht.
Man wacht in einem blitzsauberen Zimmer auf. Die jungen Männer mit rundem Kopf kümmern sich inzwischen um andere Menschen, die kurz vor dem Ersticken sind. Der Retter aus großer Not, der Klinge und Nadel zu handhaben versteht, hat seine Gesichtsmaske um den Hals hängen. Er steht verträumt vor dem Fenster und raucht eine Zigarette.
Die Tür öffnet sich lautlos und eine reizende Frau in weißem Kittel bringt auf einem Tablett ein zu leichtes Essen. Auf dem dicken Geschirr wirken der Schinken ohne Fett, das in schmale Scheiben geschnittene Brot, das Häufchen Püree, die Portion Schweizer Käse und das stille Wasser wie Spielzeug. Jeden Tag bis zur Genesung wird das Essen so aussehen: durchsichtig.
Die jungen athletischen Männer sind mit ihrem Chef, der älter und magerer ist als sie, zu einem neuen Einsatz gefahren; der Meister ohne Gesicht rettet die Körper, die sie ihm schon fast tot, schon fast leblos bringen, mit einem simplen Handgriff.
So ist das französische Leben: immer fast verloren, und dann wird es mit einem Messerschnitt gerettet. Vom Blut, von sich verdickendem Blut erstickt, das kaum noch fließt, und mit einem Schnitt, mit einem Spritzer aus hellem Blut gerettet, das aus der zugefügten Wunde hervorschießt.
Verloren, und dann gerettet; Frankreich ist eine sehr sanfte Art, fast zu sterben, und eine brutale Art, gerettet zu werden. Ich verstehe, ohne es erklären zu können, warum der Auslandsfranzose, dem ich die Frage gestellt hatte, zögerte, zurückzukommen, der Mann, der anderswo lebte, ohne hierher zurückkehren zu wollen, und warum er dennoch wusste, dass er hier begraben werden müsse.
Ich kannte diesen Tod nicht, diesen wunderbaren langsamen Tod, und diese brutale Rettung durch Männer, die sich nur rennend fortbewegen, die Rettung mit einem Messerschnitt durch einen Spezialisten, dem man anschließend unendlich dankbar ist; damit hatte ich nicht gerechnet. Dabei bereitet mich alles, was man mir in Frankreich erzählt hat, alles, was ich mir durch diese Sprache, die mich durchdringt, angeeignet habe, alles, was ich weiß und was durch diese Sprache, die die meine ist, gesagt, geschrieben und erzählt worden ist, seit jeher auf die Überzeugung vor, durch Gewaltanwendung gerettet zu werden.
»Du verstehst nichts von Frankreich«, sagte Victorien Salagnon zu mir.
»Doch, doch. Ich weiß nur nicht, wie ich es ausdrücken soll.«
Danach stand ich auf und drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wangen, auf seine etwas ledrigen Greisenwangen mit kratzenden weißen Stoppeln, da er sich nicht mehr ganz so gut rasierte wie früher, bedankte mich bei ihm und kehrte heim, ich ging zu Fuß durch die leeren Straßen von Voracieux-les-Bredins, durch den von Reifenspuren und Fußabdrücken besudelten Schnee. Wenn ich an
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