Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
könne in das Haus des Oberleutnants gehen und mit ihm leben. Salagnon schloss die Augen und schüttelte den Kopf. So ging das nicht. Niemand schien etwas zu begreifen.
In seiner Villa auf der Felseninsel betrachtete Salagnon die Gemälde, die allmählich abblätterten, oder das Meer, das hinter den Tüllgardinen ganz langsam wogte. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung, doch außer ihm merkte das niemand. Aber was machte das schon? Wie hätte er Indochina nicht lieben sollen? Wie hätte er dieses Land, das man sich in Frankreich nicht vorstellen konnte, nicht lieben sollen? Und diese Menschen, deren Seltsamkeit entwaffnend war. Wie hätte er nicht lieben sollen, was man dort erleben konnte? Vom Rauschen der Brandung eingelullt schlief er ein, und am nächsten Tag wurde wieder exerziert. Goranidzé ließ die Männer in einer Reihe aufstellen, lehrte sie, das Gewehr schön gerade zu halten und im Gleichschritt zu marschieren und dabei die Beine hochzuheben. Er war Kadett in einer Offiziersschule des Zaren gewesen, aber nicht sehr lange, kurz bevor er in eine Folge komplizierter Kriege hineingezogen wurde. Er liebte das Exerzieren und die Einhaltung der Regeln über alles, zumindest das würde sich nicht ändern. Gegen Mittag kamen die Fischer wieder und zogen ihre Boote auf den Strand, die Partisanen liefen lachend auseinander, um ihnen zu erzählen, was sie am Vormittag gelernt hatten. Goranidzé setzte sich in den Schatten und grillte Fische, bis sie gerade eben durchgebraten waren, sie aßen sie mit Pfefferschoten und Zitrone gewürzt; dann gingen sie zur Villa hinauf, um einen Mittagsschlaf zu halten. Damit war das Programm für diesen Tag absolviert. Anschließend betrachtete Salagnon aus seinem Schlafzimmer die Bucht und versuchte zu begreifen, wie er Inseln zeichnen könne, die sich vertikal aus dem Meer erhoben. Er lebte hoch oben auf seinem Felsen wie ein Insekt, das den ganzen Tag lang regungslos auf einem Baumstamm sitzt und auf seine Häutung wartet.
Als sie nach Tonkin entsandt wurden, bestand seine Kompanie nur noch aus einem Viertel derer, die sich verpflichtet hatten. Die Gegend missfiel den Männern sofort. Das Delta des Roten Flusses besteht nur aus horizontal ausgebreitetem Schlamm, aber der Blick reichte nur bis zur nächsten Bambushecke, die ein Dorf umgab. Man sah nichts. Man hatte das Gefühl, sich in einer Leere zu verirren und fühlte sich zugleich von einem zu engen Horizont eingeschlossen.
Die Familien der Fischer aus der Halong-Bucht hatten nur die jungen Leute gehen lassen, die sehr unruhig und zerstreut waren, jene, die dem Dorf nicht fehlen würden und denen ein bisschen Veränderung guttun würde. Der junge Mann, der etwas Französisch konnte, würde als Dolmetscher fungieren, für ihn war die Verpflichtung nur ein Vorwand, um reisen zu können. Mit ihrem bis auf die Augen herabgezogenen Dschungelhut, ihrem zu schweren Marschgepäck, ihrem zu großen Gewehr wirkten sie, als wären sie verkleidet, sie gingen mit Mühe, sie hatten ihre Sandalen an ihren Rucksack gehängt, weil sie barfuß den Weg besser spürten. Sie gingen zu Fuß, um die Vietminh aufzustöbern, die ebenfalls zu Fuß gingen. Sie marschierten in viel zu dicht aufgeschlossener Reihe hinter Salagnon, der ihnen alle Viertelstunde zuschrie, sie sollten mehr Abstand halten und schweigen. Dann verstummten sie und vergrößerten den Abstand, doch nach und nach begannen sie wieder zu schwatzen und näherten sich unmerklich wieder dem Herrn Offizier, der sie anführte. An den Sand und die Kalkfelsen der Halong-Bucht gewöhnt, rutschten sie im Schlamm der kleinen Dämme aus und fielen, mit dem Hintern zuerst, ins Wasser der Reisfelder. Dann blieben alle stehen, strömten herbei und fischten scherzend denjenigen wieder aus dem Wasser, der hineingefallen war. Alle lachten, derjenige, der sich mit Schlamm bedeckt hatte, noch mehr als die anderen. Sie bewegten sich lärmend fort und ohne jede Angriffslust, sie würden nie jemanden überraschen können und boten vor dem flachen Horizont ein perfektes Ziel. Sie litten unter der Hitze der verschleierten Sonne, die in dieser Schlammebene von keiner Meeresbrise gemildert wurde.
Doch als sie die Berge sahen, gefiel ihnen das gar nicht. Dreieckige Hügel tauchten plötzlich aus dem flachen Schwemmland auf und erhoben sich stufenweise bis in Höhen voller Dunst, der schließlich mit den Wolken verschmolz. Dort lebten die Vietminh wie Waldtiere, die nachts in den Dörfern ihr Unwesen
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