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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Entscheidungen sind bloße Symbole. Und selbst die Armee ist ein Symbol. Finden Sie sie nicht unverhältnismäßig groß? Haben Sie sich nie gefragt, warum wir eine so große Armee haben, für den Kriegsfall gerüstet, voller Ungeduld, sichtlich nervös, obwohl sie völlig überflüssig ist? Eine Armee mit Soldaten, die völlig abgekapselt leben, mit denen niemand spricht und die nicht mit uns sprechen? Was für ein Feind kann eine solche Kriegsmaschine rechtfertigen, für die alle Männer, hören Sie gut zu, alle Männer ein Jahr ihres Lebens opfern mussten und manchmal mehr. Was für ein Feind?«
    »Die Russen?«
    »Das ist doch albern! Warum sollten die Russen den Teil der Welt zerstören, der einigermaßen funktionierte und ihnen all das lieferte, was ihnen fehlte? Nein, nein! Wir hatten keine Feinde. Wenn wir nach ’62 noch eine einsatzbereite Armee besaßen, dann nur um darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Der Krieg war zu Ende, aber die Krieger waren noch immer da. Und daher hat man darauf gewartet, dass sie sich verstecken, dass sie altern und dass sie sterben. Die Zeit heilt alles durch das Aussterben des Problems. Man hat sie eingepfercht, um zu vermeiden, dass sie entkommen und um zu vermeiden, dass sie all das, was sie gelernt haben, blindlings in die Tat umsetzen. Die Amerikaner haben über dieses Thema einen seltsamen Film gedreht, in dem ein für den Krieg ausgebildeter Mann auf dem Land umherirrt. Er besitzt nur noch einen Schlafsack, einen Dolch und das tief in seine Seele und seine Nerven eingeprägte technische Repertoire aller erdenklichen Tötungsarten. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen.«
    »Meinen Sie Rambo?«
    »Ja, richtig, Rambo. Es hat ein paar stupide Fortsetzungen von diesem Film gegeben, aber die meine ich nicht, ich spreche nur vom ersten Film: Er zeigt einen Mann, den ich verstehen kann. Er sucht nur Ruhe und Frieden, aber man verweigert ihm seinen Platz, und daher verwüstet er eine Kleinstadt, denn das ist alles, was er zu tun versteht. Was man im Krieg erlernt, vergisst man nie. Man glaubt, dieser Mann befinde sich in großer Ferne, in Amerika, aber ich kenne in Frankreich Hunderte solcher Männer; und wenn man noch die hinzuzählt, die ich nicht kenne, sind es Tausende. Man hat die Armee beibehalten, um ihnen zu erlauben zu warten; damit sie nicht in freier Wildbahn bleiben. Das bleibt unbekannt, weil man das nicht an die große Glocke hängt: Alles, was in Europa passiert, betrifft immer gleich die ganze Gesellschaft, und das behandelt man in aller Stille; Gesundheit ist das Schweigen der Organe, wie man sagt.«
    Dieser ältere Herr sprach mit mir, ohne mich anzusehen, er blickte durchs Fenster, um den Schnee fallen zu sehen, und sprach, während er mir den Rücken zuwandte, in einem sanften Ton. Ich verstand nicht, wovon er sprach, aber ich spürte, dass er eine Geschichte kannte, die ich nicht kannte; und dass er selbst diese Geschichte war, und zufällig befand ich mich in seiner Gesellschaft in dem entlegensten Nest im Nirgendwo, in einem Einfamilienhaus einer östlichen Vorstadt, da wo die Großraumsiedlung in den klebrigen Schlamm der Felder des Departements Isère übergeht; und er war bereit, mit mir zu reden. Bei diesem Gedanken klopfte mein Herz schneller. Ich hatte in der Stadt, in der ich lebte, in der Stadt, in die ich zurückgekehrt war, um Schluss zu machen, ein vergessenes Zimmer gefunden, einen dunklen Raum, den ich bei meinem ersten Aufenthalt nicht bemerkt hatte; ich hatte die Tür geöffnet, und vor mir lag ein unbeleuchteter, seit langem verschlossener Speicher, und in dem Staub, der den Boden bedeckte, war nicht der geringste Fußabdruck zu sehen. Und in dem Speicher eine Truhe; und in der Truhe: keine Ahnung. Niemand hatte sie geöffnet, seit sie dorthin gestellt worden war.
    »Und was haben Sie in dieser Geschichte gemacht?«
    »Ich? Alles. Die Résistance, Indochina, Algerien. Ein bisschen im Knast und seitdem nichts mehr.«
    »Im Knast?«
    »Nicht lange. Wissen Sie, die Sache hat böse geendet; ein Blutbad, der Verzicht, der Rückzug. Angesichts Ihres Alters haben Ihre Eltern Sie auf einem Vulkan gezeugt. Der Vulkan zitterte, drohte zu explodieren und das ganze Land in die Luft zu sprengen. Ihre Eltern müssen blind gewesen sein, oder äußerst optimistisch oder auch nur ungeschickt. Die Leute zogen es zu jener Zeit vor, nichts mehr zu wissen, nichts mehr zu hören, sie zogen es vor, sich keine Sorgen zu machen, anstatt sich der Furcht

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