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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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hinzugeben, der Vulkan könne explodieren. Und dann kam es doch anders, und der Vulkan hat sich wieder beruhigt. Das Schweigen, die Bitterkeit und die Zeit haben die explosiven Kräfte besiegt. Und daher riecht es jetzt nach Schwefel. Das ist das Magma, das bleibt da unten heiß und fließt in die Risse. Es steigt ganz langsam unter den nicht explodierenden Vulkanen nach oben.«
    »Bereuen Sie es?«
    »Was? Mein Leben? Das Schweigen, das es umgibt? Ich habe keine Ahnung. Es ist mein Leben: Ich hänge daran, wie auch immer es gewesen ist, ich habe schließlich kein anderes. Diejenigen, die ihr Leben verschwiegen haben, sind daran gestorben, und ich habe nicht die Absicht zu sterben.«
    »Das sagt er, seit ich ihn kenne«, verkündete eine laute Stimme hinter mir, eine harmonische weibliche Stimme, die den ganzen Raum erfüllte. »Ich sage ihm zwar immer, dass er sich irrt, aber ich muss zugeben, dass er bisher recht behalten hat.«
    Ich war zusammengezuckt und aufgesprungen. Schon ehe ich sie gesehen hatte, hatte mir ihre Sprechweise, ihr südlicher Akzent und das Tragische in ihrer Stimme gefallen. Eine Frau kam in kerzengerader Haltung und äußerst sicherem Schritt auf uns zu, ihre Haut war von einem feinen Faltennetz überzogen, zerknitterter Seide gleich. Sie war im selben Alter wie Salagnon. Ich stand stumm vor ihr und starrte sie mit offenem Mund an. Ich drückte ihr die Hand, da sie mir die ihre entgegengestreckt hatte, und war überrascht, wie sanft, direkt und reizvoll diese Berührung war, was bei Frauen selten ist, da sie oft keine Hände zu schütteln verstehen. Von ihr ging Kraft aus, das spürte man an ihrer Handfläche, von ihr ging eine wohl bemessene Kraft aus, die nicht dem anderen Geschlecht entlehnt, sondern voller Weiblichkeit war.
    »Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen, Eurydice Kaloyannis, eine griechischstämmige Jüdin aus Bab el-Oued, die Letzte ihrer Art. Sie trägt jetzt meinen Namen, aber ich benutze weiterhin den, unter dem ich sie kennengelernt habe. Ich habe diesen Namen so oft geschrieben, auf so viele Briefumschläge, mit so vielen Seufzern, dass ich nicht mehr anders an sie denken kann. Mein Verlangen nach ihr trägt diesen Namen. Außerdem mag ich es nicht, dass Frauen ihren Namen verlieren, besonders, wenn dieser Name, wie bei ihr, sich nicht fortsetzt, und ich habe ihren Vater, trotz gewisser Differenzen gegen Ende seines Lebens, sehr geschätzt; aber vor allem, finden Sie nicht, dass Eurydice Salagnon eher schlecht klingt? Das hört sich an wie eine Gemüseaufzählung, das ehrt nicht ihre Schönheit.«
    Ja, ihre Schönheit. Das war es; genau das. Eurydice war schön, das habe ich sofort bemerkt, ohne es mir klarzumachen, während ich reglos vor ihr stand, Auge in Auge, meine Hand in der ihren, stumm und dümmlich nach Worten suchend. Der Altersunterschied trübt die Wahrnehmung. Man glaubt, nicht im selben Alter zu sein, man glaubt, einander fernzustehen, dabei stehen wir uns sehr nah. Der Mensch bleibt ein und derselbe. Die Zeit vergeht, und man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, die Körper bewegen sich innerhalb der Zeit wie Boote auf dem Strom. Das Wasser ist nicht dasselbe, nie dasselbe, aber die weit voneinander entfernten Boote wissen nicht, dass sie wesensgleich sind und sich nur an unterschiedlichen Stellen befinden. Wegen des Altersunterschieds kann man Schönheit nicht mehr beurteilen, denn Schönheit wird wie ein Vorhaben empfunden: Schön ist nur jene, die in mir das Begehren erweckt, sie zu küssen. Eurydice war im selben Alter wie Salagnon, ihre Haut besaß das gleiche Alter, und ihr Haar, ihre Augen, ihre Lippen und ihre Hände besagten nichts anderes. Es gibt nichts Abscheulicheres als den Ausdruck »noch ganz gut erhalten zu sein«, und das hämische Grinsen, das die Feststellung »man sieht ihr ihr Alter nicht an« begleitet. Eurydice sah man ihr Alter an, sie war das blühende Leben selbst. Ihr ganzes intensives Leben drückte sich zugleich in all ihren Bewegungen aus, ihr ganzes Leben in ihrer Körperhaltung, ihr ganzes Leben in den Schwingungen ihrer Stimme, und dieses Leben erfüllte sie, ließ sich bewundern, war ansteckend.
    »Meine Eurydice ist stark; sie ist so stark, dass ich, als ich sie aus der Hölle geholt habe, keinen Blick nach hinten zu werfen brauchte, um mich zu vergewissern, dass sie mir folgte. Ich wusste, dass sie da war. Sie ist eine Frau, die man nicht vergessen kann, man spürt ihre Gegenwart, auch wenn sie sich hinter

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