Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Schwarz, die mit ihrem schweren Schatten auf dem Ganzen lasteten.
Er bot ganze, unsortierte, schlecht schließende Kartons für lächerliche Preise an. Die Daten zogen sich über das letzte halbe Jahrhundert hin, er hatte die unterschiedlichsten Papiersorten benutzt, Aquarellpapier, Zeichenpapier, aber auch Packpapier in allen Braun- und Weißtönen, altes, halb zerfasertes Papier und ganz neues, das soeben in einem Laden für Malbedarf gekauft worden zu sein schien.
Er malte nach der Natur. Das jeweilige Motiv war nur ein Vorwand, um sich in der Tuschmalerei zu perfektionieren, aber er hatte gesehen, was er malte. Man konnte steinige Berge erkennen, tropische Bäume, seltsame Früchte; sich zum Boden beugende Frauen in einer Reisfeldlandschaft, Männer in wehenden Dschellabas, Bergdörfer; Nebelfetzen vor spitzen Hügeln, von Wäldern gesäumte Flüsse. Und sehr viele Männer in Uniform, zumeist heroisch und hager, manche von ihnen lagen am Boden, waren offensichtlich tot.
»Malen Sie schon seit langem?«
»Seit gut sechzig Jahren.«
»Verkaufen Sie alles?«
»All das häuft sich bei mir an. Daher entrümple ich den Speicher und schöpfe hier sonntags Luft. In meinem Alter sind das zwei wichtige Tätigkeiten. Nebenbei finde ich die eine oder andere vergessene Zeichnung, versuche mich zu erinnern, aus welcher Zeit sie stammt, und ich unterhalte mich mit den Besuchern über Malerei. Aber die meisten reden nur dummes Zeug; also sagen Sie fürs Erste besser nichts.«
Ich blätterte stumm weiter und befolgte seinen Rat, ich hätte so gern mit ihm gesprochen, aber ich wusste nicht worüber.
»Waren Sie wirklich in Indochina?«
»Sehen Sie hier. Ich habe nichts erfunden. Das ist schade übrigens, denn dann hätte ich mehr malen können.«
»Waren Sie zu jener Zeit dort?«
»Wenn Sie damit meinen, bei der Armee, dann ist die Antwort ja. Mit dem französischen Fernost-Expeditionskorps.«
»Waren Sie Heeresmaler?«
»Nein, keineswegs, ich war Fallschirmjägeroffizier. Ich war wahrscheinlich der einzige Fallschirmjäger, der nebenbei Zeichner war. Wegen dieser Manie machte man sich ein bisschen über mich lustig. Aber das hielt sich in Grenzen. In der Kolonialarmee durfte man zwar nicht allzu zimperlich sein, aber andererseits war dort alles Mögliche vertreten. Und außerdem fertigte ich Porträts der Spötter an. Das ist besser als Fotos; das gefiel ihnen, sie kamen zu mir, um mich zu bitten, weitere anzufertigen. Ich hatte immer Papier und Tusche zur Hand; überall wo ich war, habe ich gezeichnet.«
Ich durchblätterte fieberhaft die Zeichnungen, als könne ich einen Schatz finden. Ich öffnete einen Karton nach dem anderen, holte die Blätter heraus und verfolgte innerlich den Pinselstrich, verfolgte dessen Verlauf und den Wunsch in meinen Fingern, im Arm, in der Schulter, im Bauch. Jedes Blatt offenbarte sich vor mir wie eine Landschaft nach einer Wegbiegung, und während meine Hand diese Landschaft mit spiralförmigen Bewegungen überflog, spürte ich in allen Gliedern die Müdigkeit von der Anstrengung, alle Striche überflogen zu haben. Manche Blätter waren einfache Skizzen, andere sorgfältig ausgearbeitete Kompositionen, aber alles war in gradlinig einfallendes Licht getaucht, das die Körper durchdrang und ihnen auf dem Papier jene Präsenz verlieh, die sie einen Augenblick lang tatsächlich besessen hatten. Unten rechts war seine Signatur deutlich zu lesen: Victorien Salagnon. Daneben waren mit dem Bleistift Daten hinzugefügt, manche auf den Tag oder sogar auf die Stunde genau, andere sehr vage, auf das Jahr beschränkt.
»Ich sortiere sie. Ich versuche mich zu erinnern. Ich habe ganze Kartons, Koffer und Schränke voll davon.«
»Haben Sie viel gemalt?«
»Ja. Ich male schnell. Wenn ich die Zeit hatte, habe ich mehrere am Tag gemalt. Aber ich habe auch viele verloren, verlegt, vergessen oder zurückgelassen. Ich habe in meiner Zeit als Soldat oft den Rückzug antreten müssen, und in solchen Momenten gibt man sich nicht mit Gepäck ab, man nimmt nicht alles mit; man lässt vieles zurück.«
Ich bewunderte seine Tuschmalerei. Er stand ein wenig steif vor mir, hatte sich nicht gerührt; er war größer als ich und blickte aus seinem knochigen Gesicht ein wenig spöttisch auf mich herab, mit festem Blick aus seinen durchsichtigen Augen, in denen das Fehlen jeglicher Hindernisse mir wie Zärtlichkeit vorkam. Meine amüsante Theorie über die Kunst und das Leben hatte ihren Reiz verloren. Da legte
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