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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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ich die Zeichnung hin, die ich noch in der Hand hielt und blickte zu ihm auf.
    »Monsieur, wären Sie bereit, mir das Malen beizubringen?«
    Gegen Abend begann es zu schneien; dicke Flocken schwebten nach unten und legten sich nach kurzem Zögern auf die Erde. Anfangs sah man sie nicht in der grauen Luft, doch je dunkler die Abenddämmerung den Himmel färbte, desto deutlicher zeichnete sich ihr Weiß ab. Schließlich sah man nur noch sie, die glitzernden Flocken vor dem schwarzen Himmel, und die weiße Schicht am Boden, die alles wie mit einem feuchten Laken bedeckte. Das kleine Einfamilienhaus erstickte fast unter dem Schnee im violetten Licht einer Dezembernacht.
    Ich hatte mich hingesetzt, aber Salagnon stand vor dem Fenster und blickte nach draußen. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und sah zu, wie der Schnee auf sein Einfamilienhaus mit Garten fiel, sein Haus am östlichen Rand der Großraumsiedlung Voracieux-les-Bredins, die von den sanft gewellten Feldern des Departements Isère gesäumt wird.
    »Der Schnee bedeckt alles mit seinem weißen Mantel. So sagte man das doch, nicht wahr? So sprach man vom Schnee in der Schule. Und von der wie mit einem Leichentuch überdeckten Landschaft. Anschließend habe ich lange Zeit keinen Schnee mehr gesehen und Leichentücher auch nicht mehr: Wir hatten bestenfalls Planen und ansonsten schnell wieder zugeschaufelte Erde mit einem Kreuz darauf. Manchmal ließ man sie auch einfach auf der bloßen Erde liegen, aber nur ganz selten. Wir haben immer versucht, unsere Toten nicht zurückzulassen, sie mitzunehmen, sie zu zählen und uns an sie zu erinnern.
    Ich mag Schnee. Jetzt fällt nur noch selten Schnee, und deshalb stelle ich mich vors Fenster und sehe mir das an, als sei es ein Ereignis. Die schlimmsten Momente meines Lebens habe ich bei extremer Hitze und Lärm verlebt. Daher bedeutet Schnee für mich Stille, Ruhe und wiederbelebende Kälte, die mich den Schweiß vergessen lässt. Ich habe einen Horror vor Schweiß, dabei habe ich zwanzig Jahre lang schweißgebadet gelebt, ohne mich jemals abtrocknen zu können. Für mich bedeutet Schnee die menschliche Wärme eines trockenen Körpers, der sich in Sicherheit befindet. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Männer, die in Russland waren, mit unzureichender Kleidung und Angst vor dem Erfrieren, nicht die gleiche Vorliebe für Schnee haben. All diese betagten Deutschen können ihn nicht mehr ertragen und reisen beim ersten Kälteeinbruch in den Süden. Mich dagegen widern Palmen an, in den zwanzig Jahren des Kriegs habe ich keinen Schnee gesehen, und jetzt wird mich die globale Erwärmung darum bringen. Deswegen nutze ich solche Augenblicke aus. Ich werde mit dem Schnee verschwinden. Zwanzig Jahre habe ich in heißen Ländern verbracht, in Übersee, wenn Sie so wollen. Schnee war für mich synonym mit Frankreich: Schlitten, Weihnachtskugeln, Strickpullover mit Norwegermuster, Keilhosen und Après-Ski-Stiefel, all diese harmlosen, unnützen Dinge, vor denen ich geflohen bin und zu denen ich ein wenig gegen meinen Willen wieder zurückgekehrt bin. Nach dem Krieg war alles anders, das einzige Vergnügen, das ich ungetrübt genießen kann, ist der Schnee.«
    »Was ist das für ein Krieg, von dem Sie reden?«
    »Haben Sie ihn nicht bemerkt, den zwanzigjährigen Krieg? Der Krieg ohne Ende, der schlecht begonnen hat und schlecht zu Ende gegangen ist; ein stammelnder Krieg, der vielleicht noch immer andauert. Ein immerwährender Krieg, der sich in all unsere Handlungen eingeschlichen hat, aber niemand weiß das. Der Beginn ist verschwommen: 1940 oder 1942, da kann man streiten. Aber das Ende ist klar: 1962, kein Jahr später. Und gleich darauf hat man so getan, als sei nichts geschehen. Haben Sie das nicht bemerkt?«
    »Ich bin erst danach zur Welt gekommen.«
    »Die Stille nach dem Krieg ist immer noch Krieg. Man kann nicht vergessen, was man zu vergessen sich bemüht; das ist, als verlange man von Ihnen, nicht an einen Elefanten zu denken. Selbst wenn Sie erst danach geboren sind, sind Sie von Symbolen umgeben aufgewachsen. Ich bin sicher, dass Sie die Armee verabscheuen, ohne etwas über sie zu wissen. Das ist eines der Symbole, von denen ich spreche: eine rätselhafte Abscheu, die weitervermittelt wird, ohne dass man weiß, woher sie kommt.«
    »Das ist eine Frage des Prinzips. Eine politische Entscheidung.«
    »Eine Entscheidung? In einem Moment, da sie keinerlei Folgen mehr hat? Völlig gleichgültig? Folgenlose

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