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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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das er in seinen Händen verbarg und an das er sich geradezu klammerte. Er wirkte wie ein im Wald verirrter Gymnasiast.
    »Er hält eine Handgranate in den Händen. Sie ist entsichert. Wenn er sie loslässt, explodiert sie, und das Regiment, das hinter ihm hermarschiert, fällt über uns her.«
    Der Junge entschloss sich. Er verließ die Piste und ging durchs Gras. Er hatte Mühe voranzukommen. Die Thai drückten sich noch näher an den Boden, ohne sich zu rühren. Sie kannten Moreau. Der Junge bewegte sich voran, bahnte sich mit einer Hand einen Weg und hielt die andere an die Brust gepresst. Ab und zu blieb er stehen, musterte die Grasfläche, horchte und ging dann weiter. Er kam direkt auf sie zu. Er war nur noch wenige Meter entfernt. Auf dem Bauch liegend sahen sie ihn näher kommen. Die dünnen Halme verbargen ihn kaum. Sie versteckten sich hinter den Grasbüscheln. Er trug ein zerknittertes, mit braunen und grünen Flecken beschmutztes Hemd, das zur Hälfte über seinen Shorts hing. Sein schwarzes Haar war gut geschnitten, der Scheitel noch sichtbar. Er lebte vermutlich noch nicht lange im Wald. Moreau zog seinen Dolch ganz vorsichtig aus der geölten Scheide, sodass nur das reibende Geräusch einer Reptilzunge zu hören war. Der Junge blieb stehen, öffnete den Mund. Er ahnte natürlich, was ihn erwartete, wollte aber wohl an die Anwesenheit eines kleinen, durchs Gras gleitenden Tieres glauben. Seine Hände senkten sich und öffneten sich ganz langsam. Moreau sprang auf, Salagnon machte es ihm unwillkürlich nach, als seien die Glieder der beiden mit einem Faden verbunden. Moreau rannte auf den Jungen zu und stürzte sich auf ihn; Salagnon riss die Handgranate an sich und hielt sie mit hinabgedrücktem Hebel fest. Der Dolch fand sofort die Kehle, die der scharfen Klinge keinen Widerstand entgegensetzte, das Blut spritzte stoßweise aus der offenen Schlagader, rief dabei ein melodisches Blubbern hervor, Moreaus Hand lag auf dem Mund des bereits toten Jungen, um ihn daran zu hindern, auch nur das leiseste Stöhnen von sich zugeben. Salagnon hielt zitternd die Handgranate fest, wusste nicht, was er damit anfangen sollte, begriff nicht recht, was geschehen war. Er hätte sich übergeben, lachen oder in Tränen ausbrechen können, doch er tat nichts von alledem. Moreau putzte seine Klinge sorgfältig ab, damit sie nicht rostete, ganz vorsichtig, denn sie war schärfer als eine Rasierklinge. Er hielt Salagnon einen kleinen Metallring hin.
    »Schieb den Splint wieder rein, oder willst du sie bis zum Ende deines Lebens festhalten? Das war alles, was der Junge hatte: eine entsicherte Handgranate. Er hat alles auf eine Karte gesetzt. Die Regimenter im Vormarsch sind von Spähern umgeben. Wenn sie auf Leute wie uns stoßen, werden sie getötet, gehen in die Luft oder schleudern uns die Handgranate zu und versuchen zu fliehen. Das ist eine Prüfung für Neuankömmlinge im Untergrund oder eine Strafe des Politkommissars für nicht linientreue Kameraden. Die Typen, die das überleben, werden in die Kampfeinheiten eingegliedert. Wir haben vermutlich ein paar Minuten Zeit, ehe die anderen hier eintreffen.«
    Die Handgranate prägte sich in Salagnons Gedächtnis ein; er schob mit zitternden Fingern den Splint wieder hinein. Ihr Gewicht, die Dichte des dicken Metalls, dieser grüne Farbton, die großen, eingravierten chinesischen Schriftzeichen, an all das sollte er sich für immer erinnern. Die Thai schleppten die Leiche außer Sichtweite und brachten unter der Leitung von Rufin, der sich damit auskannte, Sprengladungen auf dem Weg an, in zwei, sich abwechselnden Reihen, und rollten die Drähte ab.
    »Wir gehen wieder in Stellung«, sagte Moreau.
    Er klopfte Salagnon auf die Schulter, der sich endlich rührte. Sie bildeten mehrere Gruppen, umgaben den Pfad wie die Zähne einer Tellerfalle. Sie versteckten sich wieder im Gras, legten ein paar Handgranaten neben sich und brachten die Schnellfeuergewehre in Anschlag.
    Das Regiment der Vietminh kam aus dem Wald; zwei Reihen von Männern, die ihr Gewehr vor dem Bauch hängen hatten und deren Helme mit Laub getarnt waren. Sie gingen lautlos mit regelmäßigen Schritten und in regelmäßigem Abstand voneinander. In der Mitte der Piste liefen Kulis, unter schweren Lasten gebeugt, zwischen den beiden Reihen von Soldaten. Sie waren bei den Sprengminen angelangt. Rufin drückte den Kolben seines Schnellfeuergewehrs fester an die Schulter; Moreau senkte den Zeigefinger, und der

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