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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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ihnen, überholte sie, wurde zwischen ihren Beinen, unter ihren Füßen, zu einem roten Sturzbach. Sie wären mehrmals fast ausgerutscht, wurden vom Platzregen wieder eingeholt. Die Krempe ihres Dschungelhuts weichte sofort auf und klebte ihnen an den Wangen. Sie rannten auf die Veranda des großen Hauses zu, der großen verzierten Hütte inmitten all der anderen. Sie wurden erwartet, mehrere Männer saßen im Halbkreis und sahen zu, wie der Regen niederging. Die beiden schüttelten sich lachend, nahmen den Huf vom Kopf und zogen ihr Hemd aus, wrangen beides aus und blieben mit nacktem Oberkörper und barhäuptig. Die Dorfältesten sahen ihnen wortlos zu. Das Dorfoberhaupt – so nannten sie ihn, da sie das Wort, das seine Funktion ausdrückte, nicht übersetzen konnten – erhob sich und schüttelte ihnen unzeremoniell die Hand. Er hatte die Städte gesehen, sprach Französisch, wusste, dass in Frankreich, da wo die Stärke war, all das, was ihm sehr unhöflich erschien, ein Zeichen der Moderne und folglich äußerster Höflichkeit war. Und daher passte er sich an, sprach mit jedem die Sprache, die er hören wollte. Er schüttelte ihnen ein wenig schlaff die Hand, wie er es in der Stadt hatte tun sehen, und bemühte sich, diese Geste, die ihm nicht gefiel, nachzuahmen. Er war das Oberhaupt und stand dem Dorf vor, und das war eine ebenso schwierige Aufgabe, wie ein Boot durch Stromschnellen zu steuern. Sie konnten jeden Augenblick kentern, und er würde sich nicht retten können. Die beiden Franzosen setzten sich zu den unerschütterlichen alten Männern unter das Vordach, sie betrachteten die Regenwand, ein eisiger Dunst drang bis zu ihnen vor; eine alte gebeugte Frau kam zu ihnen und bot ihnen Schälchen mit trübem Alkohol an, der nicht gut roch, ihnen aber viel Wärme verschaffte. Das Wasser auf dem Hang floss ununterbrochen in dieselbe Richtung, wurde zu einem Fluss, einem Kanal, der durch das Dorf führte wie eine Straße. Auf der anderen Seite befand sich eine Hütte ohne Wände; ein einfacher, erhöhter Fußboden mit einem auf Holzpfeilern ruhenden Strohdach. Das Material schien neu zu sein, die Bauweise gewissenhaft, auf allen Seiten mit rechten Winkeln. Kinder saßen darin und folgten dem Unterricht, ein Grundschullehrer in nach städtischer Mode geschnittener Hose und weißem Hemd stand vor ihnen und zeigte mit einem Bambusstab auf eine Asienkarte. Er wies auf den einen oder anderen Punkt, und die Kinder benannten ihn, sie rezitierten in dem piepsigen Singsang tonaler Sprachen, wenn diese von kleinen Kindern gesprochen werden, ihre Lektion im Chor.
    »Unsere Kinder lernen Lesen, Zählen und ihnen wird eine Vorstellung von der Welt vermittelt«, sagte das Dorfoberhaupt lächelnd. »Ich bin in Hanoi gewesen. Ich habe gesehen, dass die Welt sich verwandelt. Wir leben in Frieden. Was im Delta geschieht, das sind nicht wir, das ist weit von uns entfernt, mehrere Tagesmärsche. Das ist weit von dem entfernt, was wir sind. Aber ich habe gesehen, dass die Welt sich verwandelt. Ich habe dafür gesorgt, dass das Dorf diese Schule baut und einen Lehrer aufnimmt. Wir zählen auf Sie, um Ruhe und Frieden im Wald aufrechtzuerhalten.«
    Moreau und Salagnon nickten, man füllte wieder ihre Schälchen, sie tranken und waren betrunken.
    »Wir zählen auf Sie«, sagte er noch einmal. »Damit wir hier weiterhin friedlich leben können. Und damit wir uns verwandeln können wie sich die Welt verwandelt, aber nicht schneller, gerade im richtigen Rhythmus. Wir zählen auf Sie.«
    Vom Alkohol benebelt, umgeben vom Trommeln des Regens, der auf die Strohdächer niederging, vom Gluckern der Kaskaden, die ringsumher herabrannen, der Wasserfälle, die in die Pfützen stürzten und Rinnen in den Boden gruben, nickten sie noch einmal und wiegten den Kopf im Rhythmus der heruntergeleierten Worte der Kinder, wobei das Lächeln eines Buddhas ihre Lippen umspielte.
    Als es aufhörte zu regnen, stiegen sie wieder zum Posten hinauf.
    »Die Vietminh sind hier«, sagte Moreau.
    »Woher weißt du das?«
    »Die Schule. Der Lehrer, die Kinder, die Asienkarte, die Dorfältesten, die schweigen, während das Oberhaupt mit uns spricht; seine Art, sich auszudrücken.«
    »Eine Schule, das ist doch eher positiv, findest du nicht?«
    »In Frankreich, ja. Aber was sollen sie hier schon anderes lernen als das Recht auf Unabhängigkeit? Es wäre besser, wenn sie unwissend blieben.«
    »Schützt Unwissenheit etwa vor dem Kommunismus?«
    »Ja. Eigentlich

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