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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Tag inspizierte er die Waffen, die Gräben, das Tor; nichts entging ihm. Salagnon zeichnete in völliger Stille, selbst innerlich formulierte er kein Wort. Mariani las kleine Bücher, die er mitgebracht hatte, er las so oft dieselben Seiten noch einmal, dass er sie besser kennen musste als seine eigenen Gedanken. Gascard übernahm die körperlichen Arbeiten mit einem Trupp Thai, er schnitt Bambus, spitzte sie mit einem meisterhaften Schlag mit seinem Haumesser an und stellte Fallen her, die rings um den Posten versteckt waren; wenn er damit fertig war, setzte er sich hin, trank etwas und stand nicht mehr auf, bis es Abend wurde. Rufin schrieb Briefe auf gutem Papier, von dem er einen großen Vorrat hatte; wenn er schrieb, saß er an einem Tisch in der Kasematte in der Haltung eines Schülers, der mit dem Zeigefinger Zeile für Zeile entlangfährt. Er schrieb an seine Mutter in Frankreich mit der unpersönlichen Schrift eines kleinen Jungen und berichtete ihr, er säße in einem Büro in Saigon und sei mit dem Nachschub beauftragt. Er hatte tatsächlich in diesem Büro gearbeitet, aber dann hatte er es dort nicht mehr ausgehalten und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen, um nachts durch den Wald zu laufen, doch er wollte nicht, dass seine Mutter das erfuhr.
    Die Zeit verging nur sehr langsam. Salagnon wusste, dass die gesamte Armee der Vietminh sie angreifen konnte. Sie hofften, unbemerkt zu bleiben und hätten gern noch einen zweiten Turm aus Beton gebaut, doch der Nachschubkonvoi hatte ihnen keinen Zement mehr gebracht.
    Eines Abends begleitete Salagnon schließlich Moreau. Sie glitten zwischen den Bäumen hindurch und konnten in der Dunkelheit kaum das Marschgepäck des jeweiligen Vordermanns erkennen. Rufin marschierte an der Spitze, denn er sah gut in der Dunkelheit und kannte winzige Tierpfade, die man selbst am Tag aus den Augen verlieren konnte; Moreau ging als Letzter, damit niemand verloren ging, und zwischen den beiden liefen Salagnon und die Thai, die Sprengkörper trugen. Sie setzten lange Zeit einen Fuß vor den anderen, ohne das Gefühl zu haben, voranzukommen, sie spürten die Müdigkeit, die ihre Glieder gefühllos werden ließ, und das langsame Anhäufen von Entfernung. Sie gelangten an eine nicht ganz so dunkle Ebene, deren Ende sie nicht erkennen konnten; aus der Tatsache, dass sie sich etwas freier, nicht mehr ganz so beklemmt fühlten, schlossen sie, dass sie das Blätterdach des Waldes hinter sich gelassen hatten. »Wir bleiben hier bis zum Morgengrauen«, flüsterte Rufin Salagnon ins Ohr. Sie legten sich ins Gras. Salagnon döste vor sich hin. Er sah, wie die Nacht allmählich heller wurde, wie Einzelheiten zu erkennen waren und eine weite Fläche mit hohen Gräsern in metallisch graues Licht getaucht wurde. Eine Piste führte über die Grasebene. Auf dem Bauch liegend blickte er zwischen den Gräsern vor seiner Nase hindurch, sie wirkten wie kleine Stämme. Die Thai rührten sich nicht, wie gewöhnlich. Moreau auch nicht. Rufin schlief. Salagnon hatte Mühe, sich mit dieser unbequemen Lage abzufinden, das Gras kratzte ihn, er spürte, wie ganze Kolonnen von Insekten zwischen seinen Beinen, unter seinen Armen, über seinen Bauch liefen und schnell wieder verschwanden; es war wohl der Schweiß, der das Jucken bei ihm auslöste, die Angst, sich zu rühren, und zugleich die Angst, unbeweglich zu bleiben, die Furcht, von holzfressenden Insekten für einen Baumstamm gehalten zu werden, die Furcht, Gräser zu bewegen und entdeckt zu werden; der Kontakt der lebendigen Pflanzen mit seiner Haut war unangenehm, die kleinen Blätter waren schneidend scharf, die Blütenstände kitzelten, die Wurzeln störten, die lockere Erde bewegte sich und klebte an ihm. Wenn man Krieg geführt hat, hasst man die Natur. Der Tag brach an, die Hitze wurde allmählich drückend, und seine von Schweiß triefende Haut juckte ihn überall.
    »Da kommt einer. Dort, sieh mal. Das Gute hier ist, dass man den Feind am Gesicht erkennen kann.«
    Ein Junge betrat die Lichtung und machte ein paar Schritte auf der Piste, dann blieb er stehen. Er blickte misstrauisch nach links und rechts. Der Anblick der von hohen, sich bewegenden Gräsern gesäumten Piste missfiel ihm offensichtlich. Er war Vietnamese, das sah man von fern, sein schwarzes Haar war schnurgerade gescheitelt, seine mandelförmigen Augen mit festem Blick verliehen ihm das Aussehen eines spähenden Vogels. Er war etwa siebzehn Jahre alt. Er presste etwas an die Brust,

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