Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
sollten wir uns in Acht nehmen, sie verhören, vielleicht jemanden beseitigen.«
»Und warum tun wir das nicht?«
»Weil das bedeuten würde, mit Blutvergießen zu regieren. Und das weiß er genau, dieser Schurke. Auch er riskiert seine Haut. Er steht zwischen den Vietminh und uns, für ihn gibt es zwei Arten zu sterben, zwei Riffe, an denen sein Boot zerschellen kann. Es muss einen Weg des Überlebens geben, aber der ist so schmal, dass er sich kaum begehen lässt. Vielleicht können wir ihm dabei helfen. Dafür sind wir nicht hier, aber manchmal habe ich genug von unserer Mission. Ich möchte, dass diese Leute in Frieden mit uns leben, anstatt sich ständig in Acht nehmen zu müssen. Das kommt wohl vom Alkohol. Ich weiß nicht, was sie da reintun. Ich habe Lust, es ihnen nachzumachen, mich hinzusetzen und dem Regen zuzusehen.«
Überall auf der Welt ist der anbrechende Abend eine Stunde, die einen traurig macht. In ihrem Posten im Hochland hatten sie abends Mühe zu atmen, sie spürten, wie ihnen die Last der Nacht das Herz zusammenschnürte, aber das war normal, der zunehmende Lichtmangel wirkte sich wie zunehmender Sauerstoffmangel aus. Nach und nach fehlte allem die Luft: ihren Lungen, ihren Bewegungen, ihren Gedanken. Das Licht wurde schwächer, flackerte, sie hatten Mühe zu atmen, auf ihren Herzen lastete ein Stein.
Die Außenwelt existierte nur dank des Funkgeräts. Der Führungsstab gab ziemlich ungenaue Anweisungen. Die Lücken müssen geschlossen werden. Die Vietminh kommen überall durch, als wären sie hier zu Hause. Die undichten Stellen müssen undurchlässig gemacht werden. Die Vietminh dürfen nicht bis ins Delta vordringen. Das Leben in den Bergen muss ihnen ungemütlich gemacht werden. Sie müssen sie aufspüren. Sie müssen mobile Einsatzgruppen in den Wald schicken; jeden Posten in eine Basis für Stoßtruppunternehmen verwandeln. Durch das knisternde Funkgerät erhielten sie abends im Licht der einzigen Lampe der Kasematte wohlmeinende Ratschläge.
Moreau brach abends mit seinen Thai auf. Salagnon organisierte die Wachablösung im Posten; er selbst hatte Mühe, Schlaf zu finden. Er setzte sich unter die einzige Lampe in der Kasematte und zeichnete. Das Stromaggregat brummte sanft und setzte die Drähte in den Gräben unter Strom. Er malte mit Tusche, dachte an Euridice, berichtete ihr ohne Worte, was er im Hochland von Tonkin zu sehen glaubte. Er malte Hügel, den seltsamen Nebel, das intensive Licht, wenn dieser sich auflöste, er malte Bambushütten, kerzengerade Menschen und den Wind im gelben Gras rings um den Posten. Er malte Euridices Schönheit, die sich in der ganzen Landschaft ausdrückte, im kleinsten Lichtstrahl, in allen Schatten, im geringsten grünen Schimmer, der durch das Laub drang. Er malte nachts, wenn er kaum etwas sah, malte Euridices Bild, das allem unterlag, und Moreau fand ihn morgens neben einem Stapel von vor Feuchtigkeit gewellter Blätter schlafend vor. Er zerriss oder verbrannte die Hälfte und verpackte den Rest sorgfältig. Er vertraute die Päckchen den Konvois an, die sie auf dem Landweg mit Munition und Lebensmitteln versorgten, er sandte sie an eine Adresse in Algier, wusste aber nicht, ob sie wirklich dort ankamen. Moreau sah ihm zu, sah zu, wie er auswählte, einen Teil zerriss und den anderen verpackte. »Du machst Fortschritte«, sagte er. »Außerdem beschäftigt das deine Hände. Es ist wichtig, die Hände zu beschäftigen, wenn man nichts zu tun hat. Ich habe dafür nur ein Messer.« Und während Salagnon seine Zeichnungen sortierte, schärfte Moreau seinen Dolch, den er in eine geölte Lederscheide steckte.
Die Stimmung in dem bedrohten Posten war nicht die beste. Die Tage zogen sich in die Länge, die Männer wussten, wie prekär ihre Situation war: Ihre Festung befehligte ein ganzes, aus Wäldern bestehendes Departement und erhob sich ganz allein auf einer Anhöhe, auf der ihnen niemand zu Hilfe kommen konnte. Die Thai hockten auf den Fersen und sahen zu, wie die Zeit vorüberging, schwatzten mit ihren schrillen Stimmen, rauchten langsam, spielten Glücksspiele, die zu langen, rätselhaften Streitigkeiten führten, bei denen sie aufsprangen und wütend fortgingen, gefolgt von unerwarteten Aussöhnungen, neuen Spielen, und erneutem langen Schweigen, bis schließlich die Sonne unterging. Moreau döste in einer Hängematte, die er im Innenhof aufgehängt hatte, aber er überwachte jede Bewegung aus seinen nie ganz geschlossenen Lidern; mehrmals am
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