Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Landschaft verändert sich, die Vororte wandeln sich unablässig, nichts wird bewahrt, außer wenn mal etwas übersehen wird. Ich träumte, dachte an die Kunst des Malens, betrachtete die Formen, die hinter der Scheibe vorüberglitten. Da bemerkte ich einige gut gebaute, von der Gemeindeverwaltung angestellte Polizisten, an deren Gürtel nicht-tödliche Waffen hingen. Sie gingen in Gruppen an breiten Avenuen entlang, umstanden ein blau gestreiftes, mit Blaulicht ausgerüstetes Fahrzeug mit starkem Motor oder standen mit verschränkten Armen und am Gürtel baumelnden Waffen an den Ecken der Einkaufszentren. Das versetzte mir einen Schock; ich begriff die Sache allein an diesem Anblick: Die Gewalt verbreitet sich, behält aber stets dieselbe Form. Es handelt sich immer, im Kleinen oder im Großen, um dieselbe Kunst des Krieges.
Früher vertrauten wir sämtliche Gewalt unserem Staat an, der Dorfpolizist rang uns ein Lächeln ab. Er glich dem Stadtschreier, nur sein Schnurrbart war etwas kürzer und er lief nicht mit einer Trommel herum. Die von der Gemeindeverwaltung angestellten Polizisten waren lange Zeit Männer auf Mopeds gewesen, die wütend anhielten und sagten, nein, nein, dort dürfe man nicht parken; und dann fuhren sie wieder mit etwas zu hoch aufgesetztem Helm in einer nach Öl und Benzin stinkenden Qualmwolke davon, das lag an der Mischung, die diesen Fahrzeugen als Treibstoff diente. In den Städten konnten es auch Frauen reiferen Alters sein, die in nicht sehr kleidsamer Uniform die Straßen auf der Suche nach falsch geparkten Fahrzeugen abklapperten; in Lyon hielten sie den Heranwachsenden, die im Sommer in der Saône badeten eine Moralpredigt und behaupteten, sie würden sie nicht retten, falls sie zu ertrinken drohten, und legten sich mit den Geschäftsleuten an, weil die Bürgersteige nicht sauber genug seien, der Kehricht zurückgelassen oder der Eimer mit Wasser mit zu großem Schwung geleert worden sei. Doch dann wurde auch das, wie alles andere, vervollkommnet. Es wurden Männer eingestellt, die ein anderes Profil besaßen. Es wurden mehr. Sie waren nicht mit Feuerwaffen ausgerüstet, sondern mit Abschreckungsgeräten, deren Umgang man sie lehrte. Es waren kräftig gebaute Männer, sie wirkten wie Soldaten.
Später, nach den Wahlen sah ich sie immer öfter auftauchen, sie gingen in kleinen Gruppen durch Voracieux. Sie waren ebenso breitschultrig und trugen den gleichen Haarschnitt wie die Beamten der staatlichen Polizei. Am Gürtel trugen sie Polizeischlagstöcke mit einem zusätzlichen seitlichen Griff. Sie machten Eindruck. Ich sah sie durch die Busfenster, ich hatte bis dahin noch nie einen gesehen und fragte mich, wie viele städtische Polizisten und Angehörige von Wach- und Sicherheitsdiensten es in Frankreich zusätzlich zur staatlichen Polizei wohl gab, die alle hohe Schnürschuhe, eine sich an den Knöcheln verengende Hose und ein bläuliches Blouson trugen. Das Straßenbild wurde immer militärischer, wie damals in Algier.
Diese neue Polizeiform tauchte zuerst in Voracieux auf, denn Voracieux ist unsere Zukunft. Die historisch gewachsenen Städte sind die Hüter der Tradition, in den sie umgebenden Großraumsiedlungen konkretisiert sich, was seitdem geschehen ist. Ich sah durch die Fenster des Busses, der mich zu meinem Malunterricht brachte, die athletischen Gestalten der städtischen Polizei. Als ich durch das Viertel mit den hohen Türmen fuhr, sah ich, wie diese Männer ein Schild an eine Wand schraubten. Auf dem Schild war ein schwarzer Buchstabe auf weißem Untergrund zu sehen, gefolgt von einem Punkt und einer kleineren Zahl. Sie brachten das Schild auf dem festen Beton neben dem Eingang an, und zwar mithilfe einer großen Bohrmaschine, deren Lärm ich trotz der Entfernung, trotz der Scheibe, trotz des Getöses in dem voll besetzten Bus hörte, in dem, wer weiß warum, immer das Radio eingeschaltet war. Ich sah auf allen Türmen dieses Hochhausviertels solche Schilder, die alle einen anderen Buchstaben trugen, einen aus der Ferne sichtbaren schwarzen Buchstaben. Weitere Schilder waren auf den Hinweismasten an den Kreuzungen angebracht, auf denen auch die Straßennamen angegeben waren. Ich fragte mich, warum städtische Polizisten Aufgaben erledigten, für die eigentlich die Straßenverwaltung zuständig war. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach.
Als ich bei Salagnon ankam, war Mariani da, er trug eine abscheuliche, grün karierte Jacke und wie immer seine halbdunkle
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