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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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vergossen haben; es wird uns zu einem dicken, unbeweglichen Blutklumpen erstarren lassen.
    Die Stärke und die Ähnlichkeit sind zwei dumme Ideen von unglaublicher Widerstandskraft; man kann sich ihrer nicht entledigen. Sie beruhen auf dem Glauben an die physischen Eigenschaften unserer Welt, es sind zwei Ideen, die so einfach sind, dass jedes Kind sie begreifen kann; und wenn ein Mann, der Stärke besitzt, von kindlichen Ideen beseelt ist, richtet er furchtbaren Schaden an. Die Ähnlichkeit und die Stärke sind die unmittelbarsten Ideen, die man sich vorstellen kann, sie sind so selbstverständlich, dass jeder sie erfindet, ohne dass man sie ihm beigebracht hat. Man kann auf dieser Grundlage ein geistiges Monument errichten, eine politische Bewegung, ein Regierungsvorhaben, die nach etwas aussehen und geradezu auf der Hand liegen, aber sie sind derart absurd und falsch, dass sie bei der geringsten Anwendung einstürzen und bei ihrem Sturz Tausende von Opfern zermalmen. Aber niemand zieht daraus eine Lehre, die Ideen von Stärke und Ähnlichkeit verändern sich nicht. Wenn man nach der Niederlage die Toten zählt, glaubt man, dass ein bisschen mehr Stärke gereicht hätte; dass man die Ähnlichkeiten nur etwas genauer hätte messen müssen. Dumme Ideen sind unsterblich, denn sie liegen uns zu sehr am Herzen. Es sind kindliche Ideen: Kinder träumen immer von mehr Stärke, und sie versuchen herauszufinden, wem sie gleichen.
    »Das sind kindliche Ideen«, sagte ich schließlich laut.
    Mariani blieb stehen, ging nicht mehr in Salagnons kläglichem Wohnzimmer auf und ab und starrte mich an. Er hielt ein Bier in der Hand, ein bisschen Schaum perlte aus seinem Schnurrbart, ja, seinem Schnurrbart, denn er hatte einen grauen Schnurrbart, eine Zierde, mit der sich heute niemand mehr schmückt, die jeder abrasiert, warum, weiß ich nicht, aber ich verstehe das gut. Seine müden Augen starrten mich hinter den getönten Gläsern an, die ihnen den Farbton der Dämmerung verliehen. Er blickte mich mit offenem Mund an, und ich fragte mich, welche von den Zähnen, die er mir zeigte, wohl echt waren. Seine Jacke in schreienden Farben vertrug sich großartig mit den grässlichen Stoffen der Einrichtung.
    »Man muss es ihnen doch zeigen.«
    »Das tun Sie doch schon seit ewigen Zeiten, und bisher ist das immer gescheitert!«
    »Wir werden uns doch nicht das Messer an die Kehle setzen lassen; wie … wie damals.«
    »Aber von wem denn?«
    »Das weißt du doch genau, du weigerst dich nur, die Unterschiede zu sehen. Und wenn man sich weigert, das zu sehen, dann lässt man sich das Messer an die Kehle setzen. Dabei bist du doch nicht blöd und auch nicht blind; du schulst doch dein Auge in Salagnons Malkursen: Du siehst doch den Unterschied.«
    »Der Ähnlichkeit eine Kraft zuzuschreiben ist eine kindische Idee. Die Ähnlichkeit beweist nichts, nichts anderes als das, was man bereits glaubte, ehe man sie fand. Jeder x-beliebige Mensch gleicht allen oder niemandem, je nachdem, was man sucht.«
    »Sie existiert, öffne die Augen. Sieh dich um.«
    »Ich sehe nur unterschiedliche Leute, die mit einer Stimme reden und ›wir‹ sagen können.«
    »Salagnon, dein Typ ist blind. Hör auf, ihm Malkurse zu geben. Bring ihm lieber Musik bei.«
    Das Gespräch erheiterte Salagnon, aber er mischte sich zu diesem Thema nicht ein.
    »Da du von Musik sprichst«, neckte er ihn, »und da du meinen Namen aussprichst, möchte ich dich doch fragen, ob dir eigentlich schon aufgefallen ist, dass von uns dreien und selbst von uns vieren, wenn ich Euridice hinzuzähle, die gleich da sein wird, ich der Einzige bin, dessen Namen aus Silben besteht, die dem klassischen Französisch angehören? Der Kleine sagt nicht nur Dummheiten.«
    »Jetzt fang du nicht auch noch damit an! Wenn ich der Einzige bin, der Kurs hält, dann lassen wir uns alle bald das Messer an die Kehle setzen; und wenn ich sage, das Messer an die Kehle setzen, dann muss ich dazu sagen, dass sie besser mit dem Messer umgehen, als mit irgendeinem anderen Instrument. Bald können wir nicht mehr auf die Straße gehen, ohne vor einem Messerstich sicher zu sein.«
    »Aber niemand hat ein Messer!«, rief ich.
    Niemand hat ein Messer. Cutter, Feuerwaffen oder Spraydosen mit Tränengas, ja, aber keine Messer. Niemand kann sich dessen mehr bedienen, außer bei Tisch, und es auch nicht mehr auf der Straße zücken. Aber man spricht immer noch davon, einen Messerstich abzubekommen. Die Ganoven in früheren Zeiten

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