Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Brille, die seine Augen nur verschwommen erkennen ließ. Er war in bester Form, begleitete seine Worte mit ausladenden Gesten und lachte nach jedem Satz.
»Sieh dir das an, mein Kleiner, du interessierst dich doch für solche Dinge, auch wenn du dich nicht traust, dich einzumischen. Wir sind der Lösung unserer Probleme einen Schritt näher gekommen. Endlich finden wir Gehör. Der neue Bürgermeister hat mich und die von meinen Jungs, die ein bisschen Schulbildung haben, zu einem Gespräch empfangen. Trotz allem musste natürlich ich die Sache darlegen, und mir wurde geantwortet. Er empfing uns, wie er es uns versprochen hatte, ehe er gewählt wurde; aber er hat es nicht an die große Glocke gehängt, denn wir sind nicht sehr beliebt. Man nimmt es uns übel, dass wir die Wahrheit sagen und das ausposaunen, was alle lieber geheim halten wollen, nämlich unsere nationale Demütigung. Die Leute ziehen es vor, den Kopf zu senken, reich zu werden und zu warten, dass es vorbeigeht, oder, sobald sie reich genug sind, sich ins Ausland abzusetzen. Und wenn wir daher alles tun, damit sie wieder den Kopf heben können, dann tut ihnen das weh, denn ihr Kopf hat sich da unten verklemmt, und darum nehmen sie uns die Sache übel. Aber der Bürgermeister kennt unsere Ideen. Er bleibt diskret, denn wir sind nicht sehr beliebt; er bleibt diskret, aber er versteht uns.«
»Er versteht Sie?«
»Genau das hat er uns gesagt. Er hat uns in seinem Büro empfangen, mich und meine Jungs, er hat uns allen die Hand geschüttelt, uns aufgefordert, Platz zu nehmen, und dann saßen wir ihm gegenüber wie bei einer Arbeitsbesprechung. Und er hat uns gesagt: ›Ich verstehe, was Sie meinen. Ich weiß, was hier passiert ist.‹«
»Im Ernst?«
»Im Ernst. Wortwörtlich. Und er fuhr im gleichen Ton fort: ›Ich weiß, was Sie hier machen wollten. Und ich habe vor, hier so einiges zu ändern.‹«
»Ich frage mich, wie er darauf kommt«, sagte Salagnon glucksend.
»Keine Ahnung. Wer weiß, aus welchen Quellen er seine Informationen bezieht. Oder aber er hatte eine plötzliche Eingebung, was uns angeht, eine Vision der Rolle, die er in der Historie spielen könne, und die Altvorderen haben durch seinen Mund gesprochen.«
»Oder er hat sich über euch lustig gemacht.«
»Nein. Dafür ist er zu ehrgeizig; Humor ist nicht gerade seine Stärke. Er hat uns nach unserer Meinung gefragt, wie man Voracieux am besten unter Kontrolle hält. Wie man die Polizeikräfte am sinnvollsten einsetzt, um die Bevölkerung zu beaufsichtigen. Er hat mich zum Berater für Sicherheitsfragen ernannt.«
»Dich?«
»Ich habe schließlich ein paar Referenzen. Aber das ist ein Phantomposten. Wir sind nicht sehr beliebt, man verachtet uns, dabei bringen wir den Traum vieler Leute ans Licht. Ich werde die städtische Polizei beraten, und meine Ratschläge werden nicht auf taube Ohren stoßen. Wir werden unsere Vorstellungen durchsetzen.«
»Sind Sie für die breitschultrigen Typen, die Patrouillen und die Schilder an den Hochhäusern verantwortlich?«
»Das geht auf mich zurück. Sichten, kontrollieren, Informationen sammeln und dann handeln. Die Orte, die die Polizei nicht mehr zu betreten wagt, die erobern wir zurück und befrieden sie. Genau wie damals. Wir sind die Stärkeren.«
Seine Stimme war etwas zittrig, wegen des Alters und der Freude, aber ich wusste genau, dass man auf ihn hören würde. Die Geschichte, die eine Weile stehen geblieben war, setzte sich an der Stelle wieder in Bewegung, an der wir sie hatten stehen lassen. Die Gespenster von früher gaben uns Auftrieb: Wir bemühten uns, in den heutigen Problemen die gestrigen zu sehen und sie so zu lösen, wie wir sie damals vergeblich zu lösen versucht hatten. Wir liebten die Stärke ungemein, wirklich ungemein, seit wie sie verloren hatten. Etwas mehr von dieser Stärke würde uns retten, das glaubten wir noch heute, immer mehr Stärke, als die, über die wir verfügten. Und es wird auch diesmal vergeblich sein.
Da wir nicht mehr wissen, wer wir sind, werden wir uns jener entledigen, die uns nicht gleichen. Dann werden wir endlich wissen, wer wir sind, da wir nur noch unter Menschen sind, die sich gleichen. Das werden wir sein. Dieses »wir« wird bleiben, das werden jene sein, die sich derer entledigt haben, die ihnen nicht gleichen. Das Blut wird uns vereinen. Das Blut vereint immer, es klebt; das Blut, das fließt, vereint, das gemeinsam vergossene Blut, das Blut der anderen, das wir gemeinsam
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