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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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unserem Tun zugeschaut. Erst als wir uns auf den Heimweg machen wollten, sprach er uns an. »Kommt, ich wohne direkt hier, im Erdgeschoss. Ihr müsst euch die Hände waschen, das ist abscheulich.« Er lächelte unentwegt und hatte eine etwas schrille Kinderstimme, die ihn mit uns verband, was uns ein bisschen beängstigte. Er ließ nicht locker. Wir folgten ihm zu dritt. Er wohnte im Erdgeschoss, die erste Tür auf dem Gang. Alle Fensterläden waren geschlossen. Im Inneren roch es nicht sonderlich gut. Er machte die Tür hinter uns zu, sie fiel mit einem leisen metallischen Drehgeräusch ins Schloss, er redete ununterbrochen. »Dieser Geruch ist widerlich, ich kenne ihn, man erkennt ihn sofort wieder, wenn man ihn einmal gerochen hat, das ist der Geruch von Massengräbern, von Massengräbern, die nach langer Zeit geöffnet werden. Ihr müsst euch die Hände waschen. Gründlich. Sofort. Und auch das Gesicht. Das ist wirklich abscheulich, stinkende Erde, die Reste darin, die Knochen; das ruft Krankheiten hervor.«
    Wir gingen durch ein schlecht erhelltes Wohnzimmer voller schwer zu erkennender Gegenstände: ein glänzendes verglastes Regal, ein an der Wand hängendes Gewehr, ein an einem Nagel hängender Dolch in seiner Scheide unter einem Stück Leder, das auf absurde Weise auf die Tapete geheftet war.
    Das Badezimmer war sehr klein, wir behinderten uns zu dritt vor dem Waschtisch gegenseitig, das grelle Licht über den Spiegeln jagte uns einen Schrecken ein, wir sahen sein Lächeln über unseren Köpfen und seine verzerrten Lippen, wenn er sprach, wir sahen seine schmutzigen Zähne, die uns nicht gefielen. Er streifte uns in dem winzigen Badezimmer, um uns die Seife zu reichen oder den Wasserhahn aufzudrehen. Wir hatten das Gefühl zu ersticken. Wir wuschen uns schnell, konnten es kaum erwarten, wegzugehen. »Wir müssen nach Hause, es ist schon dunkel«, wagte schließlich einer ihn zu unterbrechen. »Jetzt schon? Na ja, wenn ihr wollt.« Wir gingen wieder eng aneinandergedrängt durch das dunkle Wohnzimmer, als befänden wir uns auf dem Rückzug. Er nahm das Gewehr von der Wand und hielt es mir hin. »Willst du es mal in die Hand nehmen? Das ist ein echtes, das tatsächlich benutzt worden ist. Eine Kriegswaffe.« Keiner von uns streckte die Hand aus, wir pressten alle die Arme seitlich an den Körper, damit er keinen Arm ergreifen konnte. »Mein Vater will nicht, dass ich Waffen anfasse«, sagte einer von uns. »Schade. Da hat er unrecht.« Er hängte das Gewehr seufzend wieder an die Wand. Er streichelte das an die Wand geheftete Stück Leder. Dann nahm er den Dolch, zog ihn aus der Scheide, betrachtete die verkrustete Klinge und hängte auch ihn wieder an seinen Platz. Wir gingen auf die Tür zu. Er öffnete das Glasregal und nahm einen schwarzen Gegenstand heraus, den er uns hinhielt. »Hier.« Er kam auf uns zu. »Hier. Nehmt das in die Hand und sagt mir, was das ist.« Ohne ihn anzufassen, erkannten wir einen Knochen. Einen großen, zerbrochenen Hüftknochen mit seinem gut wiederzuerkennenden zwiebelförmigen Ende, das von trockenem, anscheinend verkohltem Fleisch umgeben war. »Hier. Nehmt das.« »Was ist das? Ein Stück vom Grill? Hat Ihr Hund es verschmäht?« Seine Hand hielt in der Luft inne, er verstummte und sah uns starr an. »Oder haben Sie keinen Hund?« »Einen Hund? O doch, ich hatte einen Hund. Aber sie haben ihn getötet. Sie haben meinem Hund die Kehle durchgeschnitten.« Seine Stimme veränderte sich, und das flößte uns in dem dunklen Wohnzimmer Angst ein. Auf dem absurd an die Wand gehefteten Stück Leder spiegelte sich ein unangenehmer rosafarbener Schimmer. Wir drehten uns auf dem Absatz um und eilten zur Tür. Sie war verschlossen, aber nur mit einem Riegel. »Auf Wiedersehen, Monsieur, vielen Dank, Monsieur!« Wir brauchten bloß den Riegel zu drehen, und schon waren wir draußen. Der Himmel war violett, die Straßenlaternen brannten, der Parkplatz leer, und noch nie hatte ich so ein Gefühl von weitem Raum, großem Feld und den Eindruck von frischer Luft und freiem Himmel empfunden wie in jenem Augenblick. Ohne uns anzusehen, trennten wir uns und liefen auf das jeweilige Gebäude zu, in dem wir wohnten. Ich rannte die Böschung hinab, die Erde, mit der wir das Loch wieder zugeschoben hatten, gab unter meinen Füßen nach, ich sank ein. Wir hatten sie umgegraben, sie war voller Knochen und Zähne. Ich sprang auf die Betonmauer und erreichte die Asphaltfläche; ich rannte. Ich lief mit

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