Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
geschlagen hatten und nicht einmal davon geträumt hatten, ihn zu schlagen, doch dann lieferte man ihnen eine Vielzahl nackter, gefesselter Menschen aus, man ließ sie über eine Herde kolonialisierter, auf den Tierstatus reduzierter Menschen regieren, Massen, deren Anzahl man nicht kannte und von denen man einen Teil abschlachten konnte, um den Rest zu erhalten, wie man es bei Viehherden tut, um sie vor Seuchen zu schützen. Und all jene, die Geschmack an Blut gefunden hatten, tauchten im darauffolgenden Krieg unter. Die Blutrünstigen und Verrückten, all jene, die der Krieg für seine Zwecke benutzt hatte, und vor allem jene, die der Krieg hatte blutrünstig werden lassen, jene, die nie geglaubt hätten, eines Tages jemanden zu verletzen und dennoch Blutbäder anrichteten, diesen ganzen Vorrat an Kriegern, nun ja, den setzte man wie überschüssige Produkte der Waffenindustrie als überzähliges Heeresgut ab, und daher traf man sie in schmutzigen Guerilla-Kriegen wieder an, bei zwielichtigen oder terroristischen Attentaten und auf Seiten diverser Ganoven. Aber die anderen? Wo ist das überzählige menschliche Heeresgut unseres allerletzten Krieges geblieben?
Angesichts meines Alters hätte ich in meiner Kindheit mit ihnen in Berührung kommen können, auf der Schule, auf der Straße, auf den Treppen des Hauses, in dem ich gewohnt habe. Erwachsene, die die Eltern meiner Freunde waren, die Freunde meiner Eltern, alles reizende Leute, die mir einen Kuss auf die Wangen drückten, mich vom Boden hoben, mich auf ihren Knien sitzen ließen und mich am Tisch bedienten, doch vielleicht hatten sie mit denselben Händen Menschen erschossen, ihnen die Kehle durchgeschnitten, sie ertränkt oder sie mit Strom gefoltert, bis sie vor Schmerz brüllten? Vielleicht hatten die Ohren, die unseren Kinderstimmen zuhörten, einige Zeit zuvor ein Gebrüll gehört, das so schrecklich ist, weil der Schrei des Menschen die ganze Stufenleiter der Entwicklung wieder hinabfällt: das Geheul eines Kindes, eines Hundes, eines Affen, eines Reptils, das erstickte Seufzen eines Fisches und schließlich das schleimige Zerplatzen eines Wurms, der zertreten wird; vielleicht habe ich in einem Albtraum gelebt, in dem ich der Einzige war, der gut schlief. Ich habe unter Gespenstern gelebt, doch ich habe sie nicht gehört, denn jeder hatte sich mit seinem Schmerz zurückgezogen. Wo waren die Menschen, die man gelehrt hatte, so etwas zu tun? Was taten wir, als wir die Kampfhandlungen schließlich eingestellt hatten, um die Mörder unseres allerletzten Krieges reinzuwaschen? Eine leichte Säuberung hatte wohl stattgefunden, und dann konnten sie heimkehren. Gewalt ist eine natürliche Funktion, niemandem ist sie fremd, sie ist im Inneren eines jeden eingeschlossen; aber wenn man ihre Zügel lockert, breitet sie sich aus, und wenn man die Dose öffnet, in der sich die Sprungfeder befindet, kann man die Feder nicht wieder zusammendrücken, um die Dose zu schließen. Was ist aus all denen geworden, deren Hände blutbefleckt sind? Es muss einige in meiner Nähe gegeben haben, still eingereiht in den Betonregalen, in denen ich meine Kindheit verbracht habe. Von Gewalt gezeichnete Menschen sind störend, weil sie sehr zahlreich sind, und es hat nichts gegeben, was sie hätte reinwaschen können, bis auf die von nationalen Ressentiments erfüllten Bewegungen.
»Ich?« fragte mich Victorien Salagnon. »Ich zeichne für Euridice. Das erspart mir die Ressentiments.«
Und er lehrte mich das Malen. Ich besuchte ihn regelmäßig. Er lehrte mich die Kunst des Pinselstrichs, für die er ein Talent hatte und deren ungeheure Größe er bei einem Lehrmeister hatte erahnen können. In seinem Einfamilienhaus mit der grässlichen Dekoration lehrte er mich eine Kunst, die so subtil war, dass sie kaum einer Stütze bedurfte; der Atemhauch reichte.
Ich fuhr mit der Metro und anschließend mit dem Bus bis zur Endstation; es war ein weiter Weg; das ließ mir viel Zeit. Ich sah die Stadtlandschaft vorüberziehen, die Türme und die Wohnblocks, die alten Einfamilienhäuser, die großen Bäume, die durch Zufall dort zurückgeblieben waren, die kleinen in einer Reihe angepflanzten Bäume, die großen fensterlosen Hallen, die die moderne Variante von Fabrikgebäuden sind, und die von so großen Parkplätzen umgebenen Einkaufszentren, dass man die Fußgänger am anderen Ende kaum erkennen kann. Ich fuhr stumm am Fenster sitzend mit dem Bus bis zur Endstation, um Malen zu lernen. Die
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