Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
repatriierten Gespenstern ausgefüllt, die sich aufgrund einer gewissen Redewendung unter die Leute gemischt haben. Die Gespenster inmitten der Leute, die auf dem Boden saßen, lagen, sich zusammengerollt oder sich auf die Reling gelehnt hatten, und jenen, die auf den Decks auf und ab gingen, jenen, die ihren Koffer nicht losließen, jenen, die nichts hatten mitnehmen können und von Wut und Tränen geschüttelt wurden, die Gespenster inmitten all dieser Leute, die ’62 in großer Hast von den Schiffen transportiert wurden, schliefen nicht. Sie wachten während der ganzen Überfahrt, sie klumpten bescheiden aneinander, und sobald sie am Ufer von Frankreich in seinen engen Grenzen, wie es fortan sein würde, angelegt hatten, sobald sie an dem mit hilflosen Menschen überfüllten Kai von Marseille von Bord gegangen waren, blühten sie auf.
Gespenster sind aus Sprache gemacht, man stellt sie sich unter einem Bettlaken versteckt vor, aber das ist nur eine Metapher, oder eine Leinwand, auf die man Bilder projiziert; diese Gespenster bestanden aus Redewendungen, deren Herkunft wir vergessen haben, aus gewissen Worten, aus gewissen Anspielungen, aus unsichtbaren Konnotationen mancher Pronomen, aus einer gewissen Art, mit dem Gesetz umzugehen, aus einer gewissen Art, Gewalt anwenden zu wollen. Die Repatriierung ist über alle Maßen gelungen. Die mit den Schiffen von ’62 repatriierten Gespenster fühlten sich äußerst wohl, mischten sich unter die französische Bevölkerung, wir nahmen sie auf; wir schafften es nicht mehr, sie loszuwerden. Sie sind unser schlechtes Gewissen. Für die Gespenster, die uns verfolgen, ist Frankreich das, was Algerien damals war.
»Ich muss gleich los«, sagte Mariani.
»Wie du siehst, kann man mit dem Kleinen durchaus reden.«
»Ja, aber das ist ermüdend.«
»Schreit Euridice Sie auch an?«, fragte ich Salagnon.
»Mich? Nein. Aber ich beschäftige mich nie mit der Vergangenheit. Ich male für sie, nur für sie, ich umgebe mich mit einer Wolke aus Tusche, in der ich mich verstecken kann. Wir wohnen hier, wir lassen nichts durchblicken, und wenn Mariani nicht ab und zu vorbeikäme, läge all das für uns in weiter Ferne. Aber ich habe nicht vor, ihm zu verbieten, uns zu besuchen, ich habe nicht vor, darauf zu verzichten, ihn zu sehen. Und daher jongliere ich mit An- und Abwesenheiten, tue alles, damit sie sich nicht begegnen.«
»Ich gehe jetzt«, sagte Mariani.
Salagnon und ich blieben allein zurück. Schweigend. Ein günstiger Moment, ihn zu fragen, was ihn denn so quäle, dennoch stellte ich ihm die Frage nicht.
»Willst du jetzt malen?«, fragte er mich schließlich.
Ich stimmte eifrig zu. Wir setzten uns an den breiten Tisch aus Nussbaumimitat, auf dem er das Material zum Malen bereit gelegt hatte, das weiße saugfähige Papier, das keine Korrektur zuließ, die an einem kleinen Gestell aufgehängten chinesischen Pinsel, die Reibsteine, die ein wenig Wasser enthielten, die Stangentusche, die man zum Verdünnen mit einer leichten Bewegung anreiben musste. Ich setzte mich an den Tisch, als erwarte mich ein Festmahl, etwas Schweiß benetzte meine Handflächen, befeuchtete meine Finger, als seien sie Zungen. Ich war begierig.
»Was sollen wir malen?«, fragte ich ihn und warf einen Blick in die Runde, sah aber nichts, was der Tusche, nichts, was einer Pinselbewegung wert gewesen wäre, um es zu malen. Darüber musste er lächeln, meine fragenden Augen, meine Erwartung, mein Schülerblick amüsierten ihn.
»Nichts«, erwiderte er. »Mal.«
In seinem kleinen Einfamilienhaus mit der grässlichen Einrichtung lehrte er mich, dass das Malen keines Motivs bedarf; dass es genügt zu malen. Ich war ihm sehr dankbar für die Lehre, dass sich alles eignete, ganz egal was. Denn bevor er mich das lehrte, hatte ich mich immer gefragt, was ich malen solle; ich fand darauf keine Antwort und suchte vergeblich nach Motiven, die mir angemessen schienen, und die Suche nach einem Motiv hatte mich zeitweilig so sehr belastet, dass ich aufhörte zu malen. Das erzählte ich ihm, er lächelte darüber; das sei unwichtig. »Mal Bäume oder mal Felsen«, sagte er, »richtige oder imaginäre; davon gibt es unendlich viele; sie gleichen sich alle und sind doch alle unterschiedlich. Du brauchst dir nur einen auszuwählen und ihn zu malen, oder du brauchst nicht einmal zu wählen, sondern nur zu beschließen, ihn zu malen, und schon öffnet sich eine endlose Welt der Malerei. Alles kann als Motiv dienen. Die
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