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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Dafür haben wir unsere Gründe. Wo waren wir? De Gaulle berichtet das in seinen Memoiren: Wir waren in London, und anschließend überall. Er befriedigt ganz allein unser Bedürfnis nach Heroismus.
    Man kann auch behaupten, man habe gehandelt, aber allein. Dafür hat man seine Gründe. Auf dem Hintergrund dieser Thematik wurde der übelste aller französischen Filme gedreht, der in Frankreich einen triumphalen Erfolg erzielte: Das alte Gewehr . Dieser Film stellt bis ins Detail private Gewaltanwendung dar und erfindet deren Rechtfertigung. Der Protagonist des Films führt ein äußerst glückliches Leben mit seiner wunderschönen Ehefrau, und mehr verlangt er gar nicht. Er interessiert sich nicht für die Weltgeschichte, er besitzt ein verfallenes Schloss, er ist Franzose. Die Deutschen, mit denen er bisher eine distanzierte, aber korrekte Beziehung unterhalten hatte, kommen in das Dorf. Sie bringen seine Frau auf grausame Weise um, die Kamera verweilt lange auf diesen Bildern. Daraufhin beschließt er, alle beteiligten Soldaten auf abscheuliche Weise zu töten. Die Kamera erspart dem Zuschauer nicht eine Einzelheit des sadistischen Einfallsreichtums, mit dem der Protagonist bei der Tötung der Soldaten vorgeht. Der Film macht sich das Prinzip der Erpressung zu eigen: Da die schöne Ehefrau so grausam getötet worden ist, sie, die so schön ist und nichts mit der Sache zu tun hat, sondern ein friedliches Leben in ihrem Schloss auf dem Land führt, sie, die man bei lebendigem Leib hat verbrennen sehen, mit allen Details, muss der Zuschauer allen darauffolgenden Tötungen beiwohnen, mit allen Details, und er hat das Recht, sie zu genießen, ja er ist sogar gezwungen, sie zu genießen. Wenn er nicht zum Komplizen des ersten Mordes werden will, ist er gezwungen, die folgenden zu genießen. Den Zuschauern, die mit offenen Augen im dunklen Kinosaal sitzen, wird die Gewalt buchstäblich aufgezwungen; wegen der in selbstgefälligen Einzelheiten gezeigten Gewalt, die an der Ehefrau ausgeübt worden ist, werden sie zu Komplizen der Gewalt gemacht, der die Schuldigen zum Opfer fallen. Gewalt schweißt zusammen, beim Verlassen des Kinos sind die Zuschauer Komplizen. Dieser Film war seinerzeit in Frankreich der beliebteste Film des Jahres. Das ist zum Kotzen. Am Schluss, als sämtliche als böse gekennzeichneten Figuren tot sind und der Protagonist allein in seinem gesäuberten Schloss zurückbleibt, tauchen Angehörige der Résistance mit Lothringer Kreuz und Barett in einem großen schwarzen Citroën bei ihm auf. Sie fragen ihn, was geschehen sei und ob er Hilfe brauche. Er entgegnet, er brauche nichts. Es sei nichts geschehen. Daraufhin fahren die Männer wieder weg. Die Zuschauer grinsen, finden, dass diese Männer, die sich einer kollektiven Widerstandsbewegung angeschlossen haben, einen absurden, beamtenmäßigen Eindruck machen. Sie ergreifen Partei für den Mann, der allein zurückbleibt und der seine Gründe hatte. Sie sind blutüberströmt.
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Um dieses Blut abzuwaschen, hilft keine Dusche, es lässt sich nicht entfernen, es sei denn man tut so, als sei man nicht dabei gewesen. Ich kann das, was passiert ist, nicht ungeschehen machen: die Erniedrigung, das Verschwinden, die Erlösung durch das Blutbad und die darauf erfolgte unbehagliche Stille, in der ich aufgewachsen bin und in der das Verbot herrschte, Gewalt oder alles, was mit Blut zusammenhing, zu thematisieren. Es empfahl sich, nicht darüber zu sprechen; es stumm zu verachten. Die Militärfarben nicht zu ertragen, sich über den unablässigen Misserfolg unserer Armeen zu freuen, und die kahl rasierten Köpfe zur offenkundigen Verkörperung brutaler Dummheit zu stilisieren. Die Gewalt war unleugbar da, nicht weit von uns, unabhängig von uns. Wir waren das nicht. Wir fürchteten uns vor ihr, als sei sie die Pest; wir träumten von ihr in schamhaften Schwärmereien.
    In den geistigen Trümmern, die nach dem zwanzigjährigen Krieg den Boden übersäten, gab es nur noch Opfer, die nichts wissen wollten, bis auf ihren eigenen Schmerz. Die Opfer suchten im Schutt nach der Spur ihrer Henker, denn so ein Leid kann nicht ohne Henker geschehen. Diese Gewalttätigkeiten musste doch irgendjemand begangen haben, jemand, der zutiefst schlecht war und es noch ist, denn von solcher Schändlichkeit kann man nicht geheilt werden: sie steckt im Blut. Die Gesellschaft zerfiel in eine Unmenge von Kriegsopfervereinen, jede benannte ihren Henker, jede

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