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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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zieht ein schiefes Gesicht und knallt die Türen hinter sich zu; und nach einer Weile platzt sie.«
    »Schreit sie Sie an?«
    »Ich glaube nicht, dass sich das auf mich persönlich bezieht, aber an mir lässt sie es aus. Sie ist sauer auf alle.«
    »Alle, die in die Sache verwickelt sind, möchte sie am liebsten vor Schmach ersticken sehen«, fügte Salagnon hinzu. »Und sie hat eine kräftige Stimme! Ein schönes Organ, das von Jahrhunderte währenden Tragödien rings um das Mittelmeer geprägt ist, vom Ausdruck von Jahrhunderten des Schmerzes der Griechen, der Juden und der Araber; sie versteht es, ihre Stimme einzusetzen, und sie trägt sehr weit.«
    »Ich ziehe es vor, nicht zu bleiben. Was sie zu mir sagt, verletzt mich, doch im Grunde hat sie recht.«
    »Was wirft sie Ihnen denn vor?«
    »Dass wir sie hätten beschützen müssen und es nicht getan haben.«
    Mariani hielt inne; er wirkte müde und alt, und seine dämmrigen Brillengläser verliehen ihm einen verschwommenen Blick. Er wandte sich Salagnon zu, der an seiner Stelle weitersprach.
    »Wir haben Terror gesät und das Schlimmste geerntet; alles, was sie kannte und liebte, ist den Flammen zum Opfer gefallen, und die Menschen dem Messer. Alles ist verschwunden. Sie leidet wie die Prinzessinnen von Troja, die ohne Nachkommen in Paläste verstreut wurden, die nicht die ihren waren und deren ganzes vorheriges Leben durch ein Blutbad und eine Feuersbrunst zerstört worden war. Und man verweigert ihr die Erinnerung. Man erlaubt ihr nicht, sich zu beklagen, und erlaubt ihr nicht zu verstehen, und daher heult sie wie die Klageweiber beim Begräbnis eines Ermordeten, sie schreit nach Rache.
    Wenn sie mich sieht, erinnert sie sich daran, dass ein großer Teil ihrer selbst damals verschwunden ist, und sie erinnert sich an das Schweigen, mit dem man sie und die Ihren umgibt. Sie stören. Ihr ganzer Groll und all ihr Schmerz sind gleichsam in einer Flasche eingeschlossen, und meine Anwesenheit lässt den Korken knallen und dann sprudelt der gesamte Inhalt hervor. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr diese gärende Brühe stinkt. Ich würde ihr gern sagen, dass ich sie verstehe, dass ich ihr Gefühl teile, aber sie will nicht. Sie will mich mit dem Kopf in diese Brühe tauchen und mich davon saufen lassen. Und ich saufe das Zeug. Die Algerienfranzosen sind unser schlechtes Gewissen, sie sind unser Scheitern, das noch immer lebendig ist. Wir wünschten uns, sie würden verschwinden, aber sie bleiben da. Man hört noch immer ihr Grölen und ihre sprachlichen Entgleisungen. Und ihren im Aussterben begriffenen Akzent vernehmen wir noch immer wie das Hohngelächter von Gespenstern.«
    »Ist das Kapitel denn nicht längst abgeschlossen? Sie sind doch repatriiert worden.«
    »Bei diesem Wort kann ich nur lachen. Denn wir sind alle repatriiert worden. Die Repatriierung hat alle unsere Hoffnungen übertroffen. Alles, was wir dorthin geschickt hatten, haben wir wieder mitgebracht. Auf Menschen angewandt war dieses Wort völlig absurd, und das ist immer wieder betont worden: Wie kann man jene repatriieren, die Frankreich nie zuvor gesehen haben? Als wäre die Tatsache, Franzose zu sein, eine Naturgegebenheit; das beweist im Übrigen, dass es nicht der Fall ist. Nicht die Menschen haben wir repatriiert, sondern die Vorstellung von Grenzen, die wir ihnen beigebracht haben, die Vorstellung von der Gewalt der Eroberung, von der rechtswidrigen Einstellung der Pioniere und die Gewalt, die wir dort praktiziert haben. All das ist wieder zurückgekommen.
    Heute kann ich mir die Schiffe von ’62 vorstellen, ich kann mir vorstellen, wie sie auf dem Meer des Südens auftauchen, das wie ein glühend heißes blaues Blech wirkt, über dem sich die weiße Luft bis zum wolkenlosen Himmel wellt, sodass sich die Silhouette der ganz langsam näher kommenden Schiffe verzerrt und sie nur sichtbar werden, wenn man das Meer mit zusammengekniffenen Augen betrachtet, dieses warme, grausame Meer. Ich kann mir vorstellen, wie die Schiffe von ’62 in der mit Lichtern übersäten Nacht auftauchen, ermüdet vom ununterbrochenen turnusmäßigen Wechsel und vibrierend von der Wut und den Tränen ihrer Passagiere, die auf dem Oberdeck, den Zwischendecks und in den Kabinen eingepfercht sind: Soldaten, Flüchtlinge, Mörder und Unschuldige, heimkehrende Wehrpflichtige und die Heimat verlassende Auswanderer, und zwischen ihnen, zwischen ihnen, ist jeder freie Zentimeter auf den Schiffen von ’62 von

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