Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
sein. Das Wasser meidet mich, umfließt mich, befeuchtet mich kaum, fließt weiter ohne mein Zutun, und der Stein, der ich bin, verreckt, weil er sich nicht vollsaugen kann, weil er wasserdicht ist und weil er all das Wasser sieht, das vorbeifließt, ohne auf ihn zu achten. Ich bin nur noch ein Stein, Victorien, und ich bin so unglücklich, wie nur Steine es sein können.«
»Er behauptet dich zu kennen«, sagte Mariani.
Salagnon erkannte Brioude wieder, trotz seines blauen Auges, seines verschwollenen Gesichts, seiner zerknitterten und vorne fleckigen Kleidung, und seines zerrissenen Kragens, dessen Knopf an einem Faden hing und abzureißen drohte; er erkannte Brioude wieder, der mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden saß und sich leicht schräg an die Wand lehnte. Ein junger Araber, der im gleichen Zustand neben ihm saß, trug seltsamerweise am Revers seiner abgewetzten Jacke ein silbernes lateinisches Kreuz.
»Pater Brioude«, fuhr Mariani fort, »katholischer Priester, das steht fest, und ehemaliger Frontkämpfer, wie er behauptet. Der andere sagt, er heiße Sébastien Bouali und sei Seminarist.«
»Libanese?«
»Muslim aus Algerien. Konvertiert. Der will uns wohl für dumm verkaufen.«
Als Mariani ihn hatte rufen lassen, war Salagnon in den »Kühlraum« hinuntergegangen, ins Untergeschoss der maurischen Villa, in jenen kahlen Keller, in dem sie die Verdächtigen warten ließen. Ein paar Stunden im Kühlraum genügten manchmal, denn sie hörten die Schreie durch die Mauern und rochen den muffigen Gestank, der dort herrschte, sie sahen kräftige Typen mit offenem Hemd vorübergehen, deren Augen sie nicht erkennen konnten, derart tief lagen sie in den Höhlen, wie Brunnen in diesem trüben Licht. Sie in den Kühlraum zu bringen, genügte manchmal, um ihnen solche Angst einzujagen, dass sie sich in die Hose schissen; manchmal aber auch nicht. Dann brachte man sie in einen der anderen Keller der maurischen Villa, dorthin, wo man ihnen Fragen stellte, bis sie etwas sagten oder verreckten.
Brioude hatte sich kaum verändert, wirkte höchstens noch ein bisschen herrischer, trotz des verschwollenen Auges, das er nicht öffnen konnte, noch ungeduldiger, noch erboster über die Hindernisse, die die Welt ihm unablässig in den Weg legte. Salagnon hockte sich vor ihn hin und sprach sanft mit ihm.
»Was macht du denn hier?«
»Ich helfe, mein Lieber. Ich helfe.«
»Wissen Sie wenigstens, wem Sie helfen, Pater?«, fragte Mariani barsch.
»Selbstverständlich, mein Sohn«, sagte er und verzog seine feinen Lippen zu einem ironischen Lächeln.
»Sie helfen Mördern, die Bomben auf der Straße explodieren lassen, um aufs Geratewohl zu töten. Wissen Sie, wer die FLN ist?«
»Das weiß ich.«
»Wie kann nur ein Franzose wie Sie diese Leute unterstützen? Wenn Sie Kommunist wären, dann könnte ich das noch verstehen, aber Priester!«
»Ich weiß, wer sie sind. Eine grässliche Mischung, die wir selbst zusammengestellt haben. Aber wer auch immer sie sind, die Algerier haben recht, wenn sie uns rauswerfen wollen.«
»Die Algerier sind die hiesigen Franzosen; und wir befinden uns hier in Frankreich.«
Salagnon stand auf.
»Was hat er getan?«
»Ich weiß es noch nicht. Er wird verdächtigt, ein Verbindungsmann der FLN zu sein.«
»Komm, lass sein.«
»Das ist doch wohl ein Scherz. Wenn wir ihn schon einmal haben, können wir ihn doch nicht einfach laufen lassen. Er wird uns eine ganze Menge Informationen liefern.«
»Lass ihn. Schick ihn nach Frankreich zurück mit dem, was er weiß, das ist bestimmt nicht viel, und unversehrt. Was er hier erlebt hat, hat ihn schon genügend mitgenommen. Er ist ein Kriegskamerad von mir. Wir sollten es nicht übertreiben.«
Sie richteten ihn auf und nahmen ihm die Handschellen ab. Brioude massierte erleichtert seine Handgelenke.
»Und er?«
Die drei Männer sahen zu dem auf dem Boden sitzenden jungen Araber hinab, der sie wortlos anblickte.
»Benutzt er diesen Vornamen und das kleine Kreuz zur Tarnung?«
»Nein, er ist tatsächlich Katholik und getauft. Er hat diesen Vornamen bei der Taufe gewählt, weil sein ursprünglicher Vorname der des Propheten war, und den will er nicht da hineinziehen. Er ist zum Christentum übergetreten, um Priester zu werden. Er will Gott kennenlernen, aber die Ausbildung in der Koranschule fand er stumpfsinnig. Vierzig Schüler, die auf dem Boden sitzen und den Koran aufsagen, ohne ein Wort zu verstehen, und vor ihnen ein
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