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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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oder gegen etwas zu kämpfen,
    Die Militärs, die die Feder nicht so gut wie den Degen zu führen verstanden, setzten ihn an die Spitze des Staates; man beauftragte ihn damit, Geschichte zu schreiben. Er hatte bereits den ersten Band geschrieben: Man beauftragte ihn damit, die Fortsetzung zu schreiben. Er selbst sollte in diesem Epos mit fünfzig Millionen Gestalten den Platz des allwissenden Erzählers einnehmen. Die Realität würde nur aus dem bestehen, was er schreiben würde; was er nicht schrieb, würde auch nicht existieren, doch was er andeutete, würde ebenfalls existieren. Der epische Einfallsreichtum dieses Mannes war bewundernswert. Man schrieb ihm die Omnipotenz des schöpferischen Wortes zu, man unterhielt mit ihm die kaum bekannte Beziehung, die die Gestalten eines literarischen Werkes mit ihrem Schöpfer unterhalten. Für gewöhnlich schweigen sie, sie sind nur die Worte eines anderen, haben keinerlei Autonomie. Nur der Erzähler hat das Wort, er sagt die Wahrheit, er bestimmt die Kriterien der Wahrheit, er lässt die Wahrheit durchschimmern, und alles andere, alles was sich nicht in die Kategorien dessen einordnen lässt, was er gesagt hat, sind nur Geräusche, Wehklagen, Rülpser und Jeremiaden, die dazu bestimmt sind zu verstummen. Die Gestalten sind vom Schmerz beseelt, so unbedeutend zu sein, er lässt sie mit ohrenbetäubendem Lärm sterben, innerlich zerrissen.
    Aus dem Hubschrauber sah er die Jagdkommandos durch das Gelände ziehen, er sah sie in langen, weit auseinandergezogenen Reihen durch die Einsamkeit der Sperrzone marschieren, es sah von oben auf den hellen Felsen die gepunktete Linie dunkler, massiger Silhouetten mit zu schwerem Marschgepäck, Wasserkanistern und der quer über den Schultern liegenden Waffe. Sie durchkämmten die Zone, ohne irgendetwas durchgehen zu lassen, sie stellten versprengten Kämpfern der vernichteten katibas nach, sie suchten kleine Gruppen ausgehungerter, mit tschechischen Waffen ausgerüsteter Männer, die nachts marschierten und den Tag in Höhlen verbrachten, um sie zu töten, wenn sie sie gefunden hatten. Die Jagdkommandos marschierten viel und fanden meistens nichts, aber ihre Muskeln spannten sich wie Drahtseile, sie erkannten den Feind am Gesicht, am Namen und an der Klangfarbe ihrer Stimme. Salagnon überflog die Zone im Hubschrauber, er ging nur kurz nieder, wenn eine Verschanzung zerstört werden musste. Mit seinen stattlichen Jungs waren sie eine hammerharte Schlägerstaffel, sie stürmten Höhlen, machten stärkere Banden dingfest, deren Offiziere in Osteuropa ausgebildet worden waren. »Wir sind die Stoßtruppen«, sagte Trambassac zu den anderen Offizieren, die er als Bürohengste bezeichnete. »Wir suchen den Kontakt; wir gehen vor Ort und machen eine Razzia.« Die Hubschrauber setzten die Fallschirmjäger in turnusmäßigem Wechsel ab, sie siegten immer; sie fuhren in Lastwagen wieder zurück. Doch das änderte nichts. Sie entvölkerten ganze Landstriche, ein Großteil der Bevölkerung wurde in geschlossene Lager gebracht. Nach jeder Operation wurden die leblosen Körper der erschossenen Gesetzlosen zur Schau gestellt, es wurde ein Register angelegt, in dem ihre Zahl vermerkt wurde, aber das änderte nichts. Die allgemeine Feindseligkeit in Algier machte Französisch-Algerien schwer zu schaffen. Der mechanische Terror hatte Angst verbreitet wie weißen Staub, der alles bleichte, einen hartnäckigen Geruch, den man nicht loswurde, einen klebrigen Schlamm, der sich überall ausbreitete und sich nicht abwaschen ließ. Der rationale Terror produzierte Angst wie Industriemüll, wie Umweltverschmutzung, wie fetter Rauch, den eine Fabrik ausstößt, der Himmel, der Boden und die Körper waren davon erfüllt. Salagnon und seine Männer führten weiterhin hier und dort ihre Aktionen durch, aber das änderte nichts, die Angst durchdrang die Steine, über die man ging, erfüllte die Luft, die man atmete, überpuderte die Haut und die Seele, verdickte das Blut, verstopfte das Herz. Die Angst ließ die Menschen an Blutstau, an Gerinnung, an allgemeiner Verengung des Kreislaufs sterben.
    »Es kann nicht so zu Ende gehen. Es gibt keine Araber mehr, mit denen ich reden kann«, sagte Salomon. »Sie sind tot, geflohen oder sie schweigen missbilligend und sehen mich mit ängstlichen Augen an; sie antworten nicht einmal mehr, wenn ich etwas sage. Sie gehen mir aus dem Weg. Wenn ich die Straße entlanggehe, habe ich den Eindruck, ein Stein inmitten eines Baches zu

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