Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
sie nichts mehr.«
»Ich beschütze sie. Ich persönlich.«
Der Onkel seufzte und schwieg lange. »Wie du willst, Victorien.« Rings um den Kreis aus Glut schliefen die Männer einer nach dem anderen in ihrem Militärschlafsack ein. Die zwischen den Felsen liegenden Posten wachten über sie.
Die Einsätze dauerten mehrere Wochen, dann kehrten sie nach Algier zurück. Sie notierten sich sorgfältig die Anzahl der Tage, die sie im Landesinneren verbracht hatten, um nicht die Orientierung zu verlieren, die genaue Anzahl der Wochen in sengend heißer Sonne, in einer steinigen Einöde, die wie ein Backofen roch, mit Schießereien im Staub, Hinterhalten hinter Büschen, schlaflosen Nächten unter kalten Sternen, und hin und wieder einen Schluck lauwarmen Wassers, das nach Metall schmeckte, und die unvermeidlichen Ölsardinen, die direkt aus der Dose gegessen wurden. Sie wurden mit Lastwagen nach Algier zurückgebracht. Hinten auf den Bänken saßen die Männer dicht gedrängt und dösten vor sich hin, Salagnon hatte in der Fahrerkabine den Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Nicht alle kehrten in die Kaserne zurück, sie wussten genau, wie viele von ihnen fehlten. Sie wussten, wie viele Kilometer sie zu Fuß zurückgelegt hatten und wie viele im Hubschrauber; sie wussten, wie viele Kugeln sie abgefeuert hatten, der Verwalter hatte sie gezählt. Sie wussten jedoch nicht genau, wie viele Gesetzlose sie getötet hatten. Sie hatten Menschen getötet, aber sie wussten nicht genau, wen. Die Partisanen, die Sympathisanten der Partisanen, die Unzufriedenen, die es nicht wagten, mitzukämpfen, und die Unschuldigen, die zufällig dort vorbeikamen, sie alle glichen einander. Sie waren alle tot. Aber sind jene, die sich für unschuldig halten, tatsächlich unschuldig, sind sie nicht alle miteinander verwandt? Die Kolonie erzeugt Gewalt, und so sind alle aufgrund des vergossenen Blutes, aufgrund der Blutsverwandtschaft, von der Gewalt der Kolonie betroffen. Sie wussten nicht, wen sie getötet hatten, ganz bestimmt einige Partisanen, manchmal Dorfbewohner, Hirten auf den Wegen; sie hatten die Leichen gezählt, die sie zwischen den Steinen, in den Büschen, in den Dörfern zurückgelassen hatten, sie hatten diese Zahl um die Anzahl von Menschen erhöht, die sie hatten fallen sehen, auch wenn sie anschließend verschwunden oder fortgetragen worden waren, und all das ergab eine Zahl, die sie eintrugen. Jeder gefallene Körper war der eines Gesetzlosen. Wer tot war, muss einer gewesen sein, der sich etwas vorzuwerfen hatte, sonst wäre er nicht tot. Die Strafe war das Zeichen für ihre Schuld.
Sie fuhren ohne Eile in Lastwagen nach Algier zurück, die Fahrer respektierten ausnahmsweise die Geschwindigkeitsbegrenzung, bemühten sich, nicht allzu rumpelnd zu fahren und Schlaglöchern auszuweichen, denn sie brachten eine Fuhre Männer zurück, die sich ausruhen sollten. Sie durchquerten die Stadt in langsamem Tempo, beachteten die Vorfahrtsregeln und hielten vor roten Ampeln. Die Mädchen aus Algier winkten ihnen diskret zu, dunkelhaarige Mädchen mit lebhaften schwarzen Augen und kirschroten Lippen, die gern lächelten und viel schwatzten, Mädchen in geblümten Kleidern, die bei jedem Schritt um ihren Körper tanzten und die Beine entblößten. Die anderen Mädchen zählten nicht. Algier hatte eine Million Einwohner, nur die eine Hälfte von ihnen hatte das Recht zu sprechen. Die anderen schwiegen wegen ihrer Abstammung. Sie hatten nicht das Recht zu sprechen, denn sie beherrschten nicht die Sprache, in der sich das Denken, die Macht und die Stärke ausdrückten. Und wenn sie diese beherrschten, weil sie unbedingt die Sprache der Macht mit den anderen teilen wollten, beglückwünschte man sie dazu. Doch dann war man auf der Lauer nach der geringsten Abweichung, der geringsten Färbung, dem geringsten falschen Gebrauch. Und man fand sie, man fand den Fehler, den man suchte, und wenn es nur eine leicht ungewöhnliche Modulation war. Dann lächelte man. Man beglückwünschte sie zu dieser Leistung, ließ sie aber nicht teilhaben. Sie gehörten nicht zu uns, das war offensichtlich. Man vervielfachte die Kontrollen; man fand eine Spur. Auf ihrem Körper, in ihrer Seele, in ihrem Gesicht, an der Klangfarbe ihrer Stimme. Man beglückwünschte sie zu dieser guten Beherrschung der Sprache, dennoch würden sie nie wirklich das Anrecht haben, sich in dieser Sprache auszudrücken. Es war ein Teufelskreis. Wir brauchten etwas, auf das wir stolz wären,
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