Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
waren, sich abzuregnen.
Als der Krieg in Algerien zu Ende war, reichte Salagnon seine Entlassung ein. Es würde für lange Zeit keinen weiteren Krieg geben, und er war nicht gewillt, blind mit einem Panzer auf andere Panzer loszusteuern. Er nahm Kontakt zu Mariani auf. Auch der war aus der Armee ausgeschieden und wusste nicht, was er tun sollte. Im Juli flogen sie gemeinsam nach Algier.
Ihre Ähnlichkeit – beide waren breitschultrig, hatten einen kahl rasierten Schädel, schneidige Bewegungen, wachsame Augen und trugen ein buntes Hemd über der Hose – ließ sie wie Geheimagenten in geheimer Mission wirken, die sich als Geheimagenten in geheimer Mission verkleidet hatten.
Sie waren die einzigen Passagiere im Flugzeug. Die Stewardess plauderte eine Weile mit ihnen, dann zog sie die Schuhe aus und legte sich auf eine Sitzreihe, um ein wenig zu schlummern. Niemand flog mehr nach Algier, aber auf dem Rückflug war das Flugzeug stets voll ausgebucht, die Leute schlugen sich um die Plätze. Schon aus weiter Ferne sahen sie schwarze Rauchsäulen über dem Meer. Das Flugzeug flog eine scharfe Kurve, um die Landebahn anzusteuern, und da sahen sie durch die Fenster den Rauch der Brände über den weißen Straßen, die sie so gut kannten, zu ihnen aufsteigen. Sie hatten beide eine kleine Reisetasche und eine hinter den Gürtel geschobene Pistole unter dem weiten Hemd. Sie wurden nicht kontrolliert, niemand beaufsichtigte mehr etwas, das wie Zwillinge wirkende Duo mit der breitschultrigen Statur, dem militärischen Haarschnitt und der kleinen Reisetasche, die eigentlich verdächtig hätte sein müssen, all das erschien normal. Man ließ sie passieren, trat zur Seite, um sie durchzulassen und grüßte sie: die Soldaten, die bis zu den Zähnen bewaffneten Polizisten, die Beamten der Zivilbehörden. Die Flughafengebäude waren überfüllt mit Familien, die sich zwischen Kofferbergen niedergelassen hatten. Kinder, Greise, alle waren da, mit viel zu viel Gepäck, die Männer kamen und gingen, ihre weißen Hemden hatten Schweißränder unter den Armen, die vielen Frauen weinten mit kleinen Schluchzern. Es waren alles Europäer. Manchmal gingen arabische Angestellte durch die Menge, um Reinigungsarbeiten, den Gepäcktransport oder sonst etwas zu erledigen; sie bemühten sich, niemanden anzurempeln, passten auf, wohin sie die Füße setzten, und wurden von hasserfüllten Blicken verfolgt. Die Europäer aus Algier warteten auf Flugzeuge. Die Flugzeuge trafen leer ein und flogen unverzüglich wieder ab, um Hunderte von ihnen nach Frankreich zu bringen. Es wurden nicht einmal mehr Tickets verkauft. Man ergatterte sich einen Platz mit einer Mischung aus Unverfrorenheit, Bestechung und Drohungen.
An allen Mauern waren die Spuren von Einschüssen zu sehen, einzelne Löcher oder ganze Kränze. Die ausgebrannten Cafés waren mit Brettern vernagelt. Die meisten Boutiquen hatten ihr Metallgitter herabgelassen, aber manche Gitter waren zerfetzt, verbogen oder mit Brechstangen geöffnet worden. Alle möglichen Gegenstände übersäten die Straßen. Aufgestapelte Möbel, Betten, Tische und Kommoden brannten. Sie sahen einen Mann, der die Tür seines Autos öffnete und einen Benzinkanister auf den Sitz stellte, ehe er den Wagen in Brand setzte. Er sah zu, wie er verbrannte, und die benommenen Leute, die um ihn herumgingen, warfen nur einen zerstreuten Blick auf den Wagen und wichen den Trümmern aus, die auf dem Bürgersteig lagen. Ein Bett wurde aus einem Fenster gekippt und zerschellte auf dem Boden. Auf den relativ freien Wänden prangte überall in großen, verlaufenen weißen Lettern die Inschrift: OAS . Eine Frau, die ihren Haik eng um sich geschlungen hatte, überquerte hastig die Straße. Ein Motorroller, auf dem zwei junge Männer saßen, fuhr im Zickzack über die Fahrbahn, um Glasscherben und von Kugeln durchlöcherten Autos auszuweichen. Der Motorroller näherte sich der Frau, die vorwärts hastete, ohne einen Blick nach links oder nach rechts zu werfen. Der Beifahrer schwang eine Pistole und schoss ihr zwei Kugeln in den Kopf; sie stürzte im blutüberströmten Haik zu Boden, während die beiden weiter im Zickzack die Straße entlangfuhren. Die Leute stiegen über die tote Frau hinweg, als sei es ein Abfallhaufen. Salagnon und Mariani sahen in derselben Straße zwei weitere tote Frauen in einer Blutlache liegen. Eine ganze Familie kam mit viel zu schwerem Gepäck beladen aus einem Wohnhaus, der korpulente Mann schleppte zwei
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