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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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lehrte, derer ich mich bedienen wollte, um sie zu malen. Das Abendlicht drang durch das mit Gardinen aus Musselin verhangene Fenster. Ihr dichtes, von weißen Strähnen durchsetztes Haar umhüllte ihr Gesicht mit einem Schwanenflaum. Ihre festen Lippen glänzten tiefrot, und ihre Augen verbreiteten einen Schimmer, von dem ich glaubte, er sei violett, drei blutrote Flecken inmitten einer Wolke aus Federn. Ich wusste nicht, was du in jenem Augenblick dachtest, mein Herz; aber wenn du gewusst hättest, was ich pausenlos von dir dachte, hättest du dich an mich geschmiegt und wärst für immer in meinen Armen geblieben. Das Messer in seiner Scheide, das am Ende des Flurs, den man durch die offene Tür sah, an einem Nagel hing, bewegte sich, da war ich mir sicher.
    Salagnon setzte sich anders hin und verzog dabei das Gesicht. Er streckte sein Bein aus.
    »Die Hüfte«, flüsterte er. »Mir tut die Hüfte wieder einmal weh. Jahrelang spüre ich nichts, und dann ist der Schmerz wieder da.«
    Ich würde ihn gern fragen, woran er eigentlich litt. Wenn ich den Mann fragen würde, was ihn denn so quälte, würde ich vielleicht seine Wunde heilen können. Mit klopfendem Herzen rutschte ich auf meinem unbequemen Sessel aus mattem, rauem Velours ein Stück nach vorn. Du sahst mich an, mein Herz, du spürtest, dass ich mit ihm reden wollte, du unterstütztest mich mit deinem Blick, mit deinen Lippen, mit den drei roten intensiv leuchtenden Punkten, die vom Flaum eines Schwans umgeben sind. Ich glitt nach vorn, doch ich senkte die Augen und nahm mechanisch einen kleinen schweren Gegenstand in die Hand, der auf dem niedrigen Tisch lag. Ich hatte ihn immer an derselben Stelle gesehen, in einem Schälchen, was mich nicht verwunderte, denn bei Salagnon war alles wie festgeschraubt, mit einem Sinn für Dekoration, wie man ihn sonst nur in Katalogen oder Fernsehserien findet. Dieser schwere Gegenstand war mir von Beginn an aufgefallen, ich hatte mich nie gefragt, was das sein könne, denn was immer da ist, sieht man nicht. Ich war zögernd bis an den Rand meines Sessels vorgerutscht und hatte den Gegenstand, der in Reichweite vor mir lag, in die Hand genommen. Er wog schwer, hatte eine gedrungene Form und bestand aus Metallteilen, die in einem Griff aus Bakelit untergebracht waren. Ich hatte nie erfahren, was es war. An diesem Abend wagte ich ihn danach zu fragen: »Was ist das für ein Gegenstand, den ich hier die ganze Zeit schon sehe? Ein Schweizer Messer? Ein Andenken? Dabei bewahren Sie doch nichts auf.«
    »Klapp es auf.«
    Ich zog mit Mühe die Metallteile aus dem Griff. Eine banale kurze, scharfe Klinge und eine sehr feste, vierkantige Ahle, die etwa fingerlang war, ließen sich auf einer halb verrosteten Achse ausklappen.
    »Das ist tatsächlich ein Schweizer Messer«, sagte ich. »Aber ohne Dosenöffner, ohne Klinge zum Brot bestreichen und ohne Schraubenzieher. Wozu benutzen Sie es? Zum Pilzesammeln?«
    Es lächelte glücklich.
    »Weißt du nicht, was das ist?«
    »Nein.«
    »Hast du noch nie so etwas gesehen?«
    »Noch nie.«
    »Das ist ein Messer für den Nackenstich; um jemanden lautlos zu töten, indem man ihm die Ahle in die kleine Höhlung direkt unterhalb des Schädels bohrt. Mit dem kräftigen Druck einer Hand dringt sie leicht ein. Mit der anderen hält man ihm den Mund zu, er stirbt augenblicklich, ohne dass jemand etwas merkt. Das Messer ist zu diesem Zweck konzipiert worden, es dient nur dazu, um Wachposten zu töten, ohne dass sie schreien. Ich habe gelernt, damit umzugehen, und habe anderen beigebracht, wie man damit umgeht, im Dschungel hatten wir es immer zugeklappt in der Tasche. Und dies ist meins.«
    Ich legte das Ding ganz vorsichtig auf den Tisch, ohne es zusammenzuklappen.
    »Es freut mich, dass du nicht erkennst, was es ist.«
    »Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt.«
    »Es gab verschiedene Werkzeuge, die uns im Krieg dienten. Ich komme aus einer Welt, die man sich gar nicht mehr vorstellen kann. Man brachte einander mit dem Messer um, man bespritzte sich mit dem Blut der anderen und wischte sich mechanisch ab. Wenn heute etwas blutet, dann ist es das eigene Blut; man berührt das Blut der anderen nicht mehr. Man nähert sich nicht mehr, man vernichtet die Menschen aus der Ferne, man benutzt Geräte und Maschinen. Den Beruf, in dem man den Geruch und die Wärme des anderen wahrnahm, die Angst des anderen spürte, die mit unserer eigenen Angst verschmolz, bevor man ihn tötete, diesen Beruf gibt

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