Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
verlassen musste. Sie waren Störenfriede, sogar ihre Existenz wurde als störend angesehen; man verweigerte ihnen das Anrecht auf einen Platz innerhalb der Geschichte. Wenn sich Reiche in Nationen verwandeln, muss man jene ausschließen, deren Zugehörigkeit man nicht erfinden kann.
Sie sind also die einzigen Bösewichter des Films, jene, die kein Anrecht auf ein Porträt haben, jene, die man nur aus der Ferne sieht und die nur Schreihälse und engstirnige Rassisten sind, jene, die Kinder und Greise lynchen, kläffende, feige Köter, die kein Anrecht mehr auf eine Existenz haben. Allein ihr Dasein stellt ein Unrecht dar, wie der Film hervorhebt, die Geschichte lässt sie an ihren Ufern zurück, als bereits vermodernde Leichen. Der Panzer, der zu der Siedlung Climat de France hinauffährt, schließt die Geschichte ab, und seine Verkleidung zeigt, was wirklich geschieht. Der falsche französische, aber echte sowjetische Panzer, der von als Franzosen verkleideten Statisten umgeben ist, die echte algerische Soldaten sind, unterdrückt echte Algerier, die Algerier spielen. Aber sie werden tatsächlich unterdrückt. In den Straßen ringsumher stehen die Panzer der ALN , die die Hauptstadt unter Kontrolle haben und die Macht an sich reißen. Dieses Bild von dem Panzer in der Kurve unterhalb der Siedlung Climat de France könnte man als Großaufnahme an die Wand hängen und ihm den Titel geben: Grabmal für das gesamte algerische Volk . Zum einen für den Teil des algerischen Volkes, der verschwunden ist, und zum anderen für jenen, der unterdrückt wird, und zwar auf demselben Bild auf doppelte Weise. Während die Grenzarmee die Macht ergriff, drehte Gillo Pontecorvo die Schlacht um Algier in der leeren Stadt, sie schrieben die Geschichte. In diesem Krieg, der die Menschen bis ins Innere spaltete, und dessen Motor der unendliche Verrat war, sprachen zwei Lager ganz klar für alle, das eine für Frankreich, das andere für Algerien. Und das war eine Lüge.
Kinofilme sind Fiktionen; aber abgesehen davon sind sie ein Verfahren, um etwas aufzuzeichnen. Der Panzer war tatsächlich dort gewesen, die leeren Straßen hatten existiert, und auch die Schar der verkleideten Statisten hatte es gegeben: eine reale Situation war auf dem Filmmaterial aufgezeichnet worden und blieb bestehen. Als die Leinwand dunkel und der murmelnde Saal wieder erleuchtet war, die Rolle des Lichts also vertauscht worden war, sprang ich steif vor Wut auf, sie war besorgt über meine Wut, deren Grund sie nicht begriff. Ich hätte ihr gern erklärt, weshalb mich der Anblick eines Bildes so aufgewühlt hatte, aber ich wusste nicht, wie ich das in wenigen Worten sagen sollte. Ich hätte mit dem illustrierten Großen Larousse beginnen müssen, um ihr zu erklären, dass ich mich mit Panzern auskannte, weil ich mich als kleiner Junge dafür interessiert hatte, und ihr Salagnons ganzes Leben erzählen müssen, so wie er es mir erzählt und ich es begriffen hatte, und ihr sagen müssen, was wir hier seit vierzig Jahren erlebten. Die Leute verließen den Saal mit nachdenklicher Miene, da man versucht hatte, den Film aus dem Verkehr zu ziehen, hatten sie das Gefühl, endlich einen Film gesehen zu haben, der die Wahrheit zeigte. Vermutlich hatte niemand in dem Saal die Lüge auf der Leinwand gesehen, da sich vermutlich niemand mit Panzern auskannte.
Sie begleitete mich schweigend und voller Vertrauen. Wir verließen das Kino, und draußen schlugen uns der Lärm und die Nachmittagshitze einer Fußgängerstraße entgegen, auf der sich in beiden Richtungen eine dichte Menge bewegte. «Ich nehme dich mit nach Voracieux«, sagte ich zu ihr. »Dann lernst du endlich den Mann kennen, der mir das Malen beibringt.« Wir nahmen die Metro bis zur Endstation der Linie und dann den Bus. Sie saß ganz dicht neben mir und hatte den Kopf auf meine Schulter gelegt, ich spürte, dass sie eine Frage bewegte, doch sie stellte sie nicht. »Er lehrt mich, den Versuch zu machen, dich zu malen«, sagte ich, während wir zwischen den Hochhäusern hindurchfuhren. »Das gelingt mir noch nicht so recht, aber ich habe keinen sehnlicheren Wunsch.« Sie küsste mich sanft. Ich dachte an das furchtbare Bild, mit dem der Film endete, und das ihn plötzlich in eine Lüge umschlagen ließ, obwohl alle Einzelheiten wahr waren, dieses Bild des Panzers unterhalb der Siedlung Climat de France war wie ein Lapsus, der etwas offenbart, was er eigentlich verheimlichen möchte. Man versucht, etwas zu sagen,
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