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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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einfache Handlungen zuordneten: Festnahme, Verdacht, Beseitigung. Grob gesagt nahmen wir folgende Vereinfachung vor: sie und wir.«
    Salagnon wurde unruhig. Er konnte nicht wirklich innehalten, weil ihm das, was er erzählte, im Laufe der Jahre immer klarer geworden war, und es hatte nie jemanden gegeben, dem er das sagen konnte. Nicht weil die Sache totgeschwiegen worden wäre, im Gegenteil, alle sprachen über diesen Krieg, aber das erzeugte einen solchen Lärm aus Klagen und Hass, dass man nichts mehr verstand. Die Opfer und die Henker unter den zwölf Teilnehmern an diesem grässlichen Getümmel tauschten unablässig die Plätze, und in dem sozialen Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, wurde davon ausgegangen, dass Salagnon und seinesgleichen die Schlimmsten gewesen waren, ohne dass man die Sache einer eingehenderen Betrachtung unterzog. Die angebliche Stille um den zwanzigjährigen Krieg war ein lärmendes Durcheinander, ein endloser Reigen, in den sich alle einmischten, und der sich immer im Kreis drehte und dem Kern des Problems auswich. Wenn das dortige Land unser Land war, wer waren dann jene, die dort lebten? Und wenn sie hier leben, wer sind sie dann jetzt? Und wir in alledem?
    Victorien und Euridice, die gemeinsam weit über hundert Jahre alt waren, blieben eng aneinandergeschmiegt sitzen, zart und faltig, zwei Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert, wir hörten ihren leicht pfeifenden Atem, wie Luftzüge in davonflatterndem Papier, sie und ich, sie neben mir.
    »Die koloniale Fäulnis hat an uns genagt. Wir haben uns alle auf unmenschliche Weise verhalten, denn die Situation war unausweichlich. Nur innerhalb unserer bewaffneten Einheiten haben wir uns mit dem Respekt verhalten, den jeder dem Menschen schuldet, um ein Mensch zu bleiben. Wir haben zusammengehalten, es gab keine allgemeine Menschlichkeit mehr, sondern nur noch Kameraden oder das gegnerische Fleisch. Als wir die Macht an uns rissen, hatten wir folgende Absicht: Wir wollten Frankreich wie ein Pfadfinderlager organisieren, nach dem Modell der blutgierigen Kompanien, die durch das Gelände irren und ihrem Hauptmann folgen. Uns schwebte eine Republik aus Kumpels vor Augen, die feudalistisch und brüderlich sein sollte und in der man der Meinung des Würdigsten folgen würde. Das erschien uns egalitär, wünschenswert, mitreißend, wie in jenen Momenten, wenn wir alle gemeinsam um ein Feuer in den Bergen saßen und unsere Waffen reinigten. Wir waren naiv und stark, hielten ein ganzes Land für eine Kompanie aus jungen Männern, die das Gelände durchstreifen. Wir waren die Ehre Frankreichs gewesen, und zwar in jener Zeit, als sich die Ehre an der Fähigkeit zu morden ermessen ließ, und ich weiß nicht genau, wohin das alles verschwunden ist.
    Wir waren Adler; aber das wusste niemand, denn wir trugen Tarnkleidung, hockten auf allen vieren hinter Büschen oder lagen hinter Steinen. Und unsere Gegner waren uns nicht ebenbürtig. Nicht weil es ihnen an Mut gefehlt hätte, sondern vom Äußeren her. Falls sie uns besiegt hätten, hätte man sich darüber gewundert, dass so arme kleine Männer uns besiegen konnten; und wenn wir sie besiegten, machte man sich über diese für uns viel zu leichte Beute lustig, die aus armen, kleinen, schlecht gekleideten und schlecht bewaffneten Männern bestand, die nebeneinander im Staub lagen, während wir in Uniform vor ihnen standen. Wir waren Adler, hatten aber nicht das Glück, zerschmettert zu werden wie der deutsche Adler, der Adler der Reichskanzlei, der von Bomben zertrümmert wurde. Wir waren Adler mit verklebten Flügeln wie Seevögel, deren Federkleid kein Öl verträgt; wenn sich schwarzes Öl auf dem Wasser ausbreitet, schrumpfen sie zusammen und sterben eines schmachvollen Todes, bei dem das Ersticken geradezu lächerlich wirkt. Das vergossene Blut ist geronnen, und wir mit ihm; das verleiht uns ein grauenhaftes Aussehen.
    Dabei haben wir unsere Ehre gerettet. Wir haben uns erhoben und haben die Kraft wiedergefunden, die uns gefehlt hatte; aber wir haben sie anschließend für wirre und letztlich schändliche Ziele eingesetzt. Wir hatten die Kraft und haben sie verloren, und wir wissen nicht genau wo. Das Land grollt uns deswegen, dieser zwanzigjährige Krieg hat nur Verlierer hervorgebracht, die sich gegenseitig mit leiser Stimme in gehässigem Ton beschimpfen. Wir wissen nicht mehr, wer wir sind.«
    »Du übertreibst, Victorien«, sagte Euridice ganz leise. »Das Leben dort war gar nicht so übel. Es

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