Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
farbigen Abbildungen, und ich hatte die Seite Uniformen , die Seite Flugzeuge und die Seite Panzer über alles geliebt. Der Panzer, der auf der Leinwand auftauchte, war kein französischer, sondern ein russischer Panzer. Er trug die Bezeichnung ISU -122 und war ein schwerer Jagdpanzer. Man konnte ihn an seinem flachen Rohr, das von dem nicht drehbaren Turm wie eingezogene Schultern umrahmt wurde, erkennen, und an den runden Tonnen auf dem hinteren Teil, die wer weiß was enthielten, vielleicht nichts. Ich kannte mich mit Panzern gut aus, ich hatte die Seitenränder meiner Schulhefte damit vollgekritzelt und hatte auch diesen mit seinem flachen Rohr und den Fässern hinten gezeichnet. Pontecorvo hatte vor Ort gedreht, in Algier, mit Menschen, die das alles erlebt hatten. Im Legendenschatz der Linken war das ein Beweis für Authentizität. Aber 1965 einen Film in Algier zu drehen, der im Jahr 1956 spielt, ist eine Lüge. 1965 existiert das Algier aus dem Jahr 1956 nicht mehr. Und wo sollte er 1965 Europäer in Algier finden? Man musste sie von wer weiß woher kommen lassen und sie auf den Balkonen platzieren wie Topfpflanzen und das Stadion, das sie nicht füllen konnten, in einer Halbtotalen filmen. Was soll man schon anderes tun, wenn man 1965 im europäischen Viertel von Algier dreht, als die neuen Bewohner vorübergehend aus dem Viertel zu verbannen, die Geschäfte, die nach 1962 noch existierten, zu schließen, zu hoffen, dass niemand etwas merkt, und die Straßen zu sperren, damit die Menge der neuen Bewohner nicht auftaucht? Was soll man anderes tun, wenn man 1965 Fallschirmjäger und Beamte der Bereitschaftspolizei finden will, als algerische Soldaten und Polizisten zu verkleiden? Und wenn man 1965 einen französischen Panzer in Algier sucht, was bleibt einem anderes übrig, als einen von der UdSSR gelieferten Panzer der Nationalen Befreiungsarmee ALN zu nehmen und zu hoffen, dass niemand ihn wiedererkennt? 1965 gab es viele Panzer in den Straßen von Algier, denn die ALN riss damals gerade die Macht an sich. Die Armee befand sich dort mit ihren regulären Truppen und ihren Panzern, man brauchte sie nur zu verkleiden, um zu drehen. Pontecorvo war 1965 in Algier, er war der offizielle Filmregisseur des Staatsstreichs. Er war ein Dreckskerl, das wussten die Film-Fans. Er hatte ein paar Jahre zuvor in einem anderen Film eine Kamerafahrt benutzt, die moralisch unvertretbar war. Er hat beschlossen, eine Kamerafahrt in dem Moment einzusetzen, in dem eine junge Frau in einem Konzentrationslager Selbstmord verübt: Sie wirft sich in den Stacheldrahtzaun, und im Augenblick des Aufpralls, im Augenblick ihres fiktiven Todes auf dem an ein fiktives Stromnetz angeschlossenen Stacheldraht beginnt er die Kamerafahrt, um sie zu einem Bestandteil eines anderen Leidensbildes zu machen. Dass die Sache an sich nach Aussagen von ehemaligen KZ -Häftlingen schon recht unwahrscheinlich ist, ist ja noch nicht so schlimm; aber es gibt moralische Regeln beim Filmen. Ein Mann, der beschließt, eine neue Einstellung vorzunehmen, um die Leiche aus der Froschperspektive zu drehen, verdient nichts als tiefe Verachtung.
Pontecorvo beendete seinen Film genau zum Zeitpunkt des Staatsstreichs, er bot der algerischen Militärrepublik die Grundlage für ihren Mythos. Die Schlacht um Algier ist buchstäblich der offizielle Film zum Abkommen von Évian: Das Abkommen zwischen zwei militärpolitischen Apparaten, zwischen dem, der geht und dem, der ihn ersetzt. Deshalb sind die Fallschirmjäger in diesem Film ganz in ihrem Element. Saadi, der Bombenleger, und Trinquier, der Elektroschockfolterer, schließen den »Frieden der Tapferen«. Nach einem wirren Durcheinander, in dem so viele Gegner einander bekämpft haben, drei, sechs oder zwölf, haben am Schluss nur noch diese beiden das Wort. Sie teilen sich die Beute und lassen die anderen verschwinden. Und endlich begriff ich, was mich an dem Film so verwirrt hatte: Das europäische Viertel von Algier war leer, viel zu leer für eine Stadt am Mittelmeer. Man hatte es geleert. Ihre Bewohner waren weggefegt worden.
Trinquier und Saadi können miteinander plaudern, als seien sie alte Kameraden, sie sind sich darin einig, nur über ein einziges algerisches Volk zu reden, ein in Eintracht lebendes Volk, das glücklich über seine wiedergefundene Identität ist, die es gar nicht gibt; sie sind sich darin einig, nichts über das Volk der Algerienfranzosen zu sagen, das innerhalb weniger Wochen das Land
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