Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
kompetent waren, derart dilettantisch vorgegangen sind. Bei dem Aufstand am Schluss haben sie nichts anderes mehr getan, als Menschen aufs Geratewohl zu töten. Sie haben den allgemeinen Terror noch verstärkt, Leute mehr oder weniger willkürlich für schuldig erklärt und erschossen; sie haben sich in die Politik eingemischt und die dümmste, primitivste politische Handlung vollzogen, die man sich vorstellen kann, die blödeste Gewaltanwendung wie ein Fußtritt, den man einem Hund versetzt: eine Kugel in den Kopf des Erstbesten. In der Verzweiflung am Schluss wurden Menschen getötet, die zufällig vorbeikamen. Sie haben sich mit Schande befleckt, haben alles verdorben und ihren Tod und den der anderen verursacht. Man kann den Strom der Zeit nicht umleiten, indem man mit Steinen nach ihm wirft, man kann ihn nicht einmal verlangsamen; sie haben einfach nichts mehr begriffen.«
Er setzte sich ein bisschen aufrechter hin, verzog das Gesicht und hielt sich die Hüfte. Euridice strich ihm mit ihrer feinen, fleckigen Hand fürsorglich über den Schenkel. Jetzt musste ich ihn fragen. Er hatte mich das Malen gelehrt und mir seine Geschichte erzählt; ich kannte die Modulationen seines Atems und die Klangfarbe seiner Stimme. Ich musste ihn fragen, was für eine Qual ihn ständig verfolgte, wohin er auch ging, diese Qual, die er seit Jahren in der Hüfte verspürte, diese hartnäckige Wunde, die niemand mehr in dieser Welt kennen will, in der er fast schon nicht mehr lebte und in der ich noch weiterleben würde.
»Monsieur Salagnon«, fragte ich ihn schließlich, »haben Sie gefoltert?«
Mein Herz saß neben mir und blickte mich an. Sie hielt den Atem an. Das Messer, das am Ende des Flurs hin und her schwingend an einem Nagel hing, schimmerte rot, es konnte die Farbe des Leders sein, die des Abendlichts oder die von getrocknetem Blut. Salagnon lächelte mir zu. Dass er in diesem Augenblick lächelte, war die schlechteste Antwort, die er mir geben konnte. Du bebtest neben mir, mein Herz, deine Augen, deine Lippen, drei Flecken in einem Nimbus aus Schwanenflaum.
»Wir haben Schlimmeres getan.«
»Was kann denn noch schlimmer sein?«, presste ich in einem schrillen Aufschrei hervor.
Er zuckte die Achseln, redete ganz sanft und voller Geduld mit mir.
»Nun, da dieser Krieg zu Ende ist, dieser Krieg, der zwanzig Jahr gedauert und mein Leben ausgefüllt hat, spricht man nur noch von Folter. Man will wissen, ob es sie gegeben hat oder ob das abgestritten wird; man will wissen, ob übertrieben worden ist oder nicht, man weist mit dem Finger auf jene, die sie praktiziert haben oder auch nicht. Alles dreht sich nur noch darum. Dabei ist das gar nicht das Problem Und ist es nie gewesen.«
»Ich spreche von Folter; und Sie sagen, das sei völlig nebensächlich?«
»Ich habe nicht behauptet, das sei nebensächlich. Ich sage nur, dass wir Schlimmeres getan haben.«
»Aber was denn? Was kann denn noch schlimmer sein?«
»Wir haben uns an der Menschheit versündigt. Wir haben sie geteilt, obwohl es keinen Grund dazu gab. Wir haben eine Welt geschaffen, in der jemand, je nachdem welche Form sein Gesicht hatte, wie er einen Namen aussprach, wie er unsere gemeinsame Sprache modulierte, Untertan oder Bürger war. Jedem wurde sein Platz zugewiesen, und dieser Platz vererbte sich und ließ sich am Gesicht ablesen. Wir haben uns darauf eingelassen, diese Welt zu verteidigen, und haben alle erdenklichen Sauereien begangen, um sie aufrechtzuerhalten. Von dem Augenblick an, da wir die unglaubliche Gewalt der Eroberung als zulässig angesehen haben, war es nur noch eine Frage der persönlichen Einschätzung, ob man dies oder das tat. Wir hätten nicht hingehen sollen, doch ich bin hingegangen. Wir haben uns alle wie Schlachter aufgeführt, wir alle, alle zwölf Gegner in diesem grässlichen Getümmel. Jeder stellte für alle anderen nur einen Fleischhaufen dar, der misshandelt werden konnte, wir haben mit dem Messer auf die anderen eingestochen oder sind mit einer beliebigen Waffe auf sie losgegangen, um sie in Aas zu verwandeln. Manchmal haben wir versucht, uns ritterlich zu verhalten, aber das dauerte nicht länger als der Gedanke daran währte. Dass der andere als niederträchtig angesehen wurde, war für uns die Garantie, dass wir im Recht waren; unser Überleben hing von der Trennung von ihnen ab und von ihrer Herabwürdigung. Und so spürten wir Akzente auf, lachten über Namen und teilten die Gesichter in Kategorien ein, denen wir
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