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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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was man für wahr hält, aber wegen eines Details, das sich nicht unterdrücken lässt, bringt man die tatsächliche Wahrheit zum Ausdruck.
    Als wir in dem hässlichen Wohnzimmer saßen, erzählte ich Salagnon davon. Er lachte.
    »Ich verstehe genau, was du meinst. Ich lebe schließlich seit sehr langer Zeit mit einer Algerienfranzösin zusammen.«
    Dann streichelte er Euridice, die sich an ihn gelehnt hatte, die Wange, und sie schenkte ihm ein so sanftes Lächeln, dass all die kleinen Falten, die ihre Haut wie zerknitterte Seide erscheinen ließen, verschwanden. Es blieb nur ihr schönes strahlendes Gesicht zurück, und ihr Alter war das ihres Lächelns: ein paar Sekunden.
    »Von dem, was Sie erlebt haben, ist nichts mehr zu sehen. Es ist keine Spur davon da.«
    Ich deutete mit einer ausladenden Geste auf die unpersönliche Ausstattung, die uns auf bedrückende Weise umgab.
    »Das Fehlen jeglicher Spur ist eine Spur.«
    »Hören Sie auf mit Ihren chinesischen Weisheiten. Das ist doch nur Augenwischerei, um eine gewisse Tiefe vorzutäuschen. Ich meine das im Ernst.«
    »Es müsste Spuren geben, aber es gibt keine. Ich habe Euridice hierher geholt. Wenn ich will, dass sie an meiner Seite bleibt, dann dürfen wir nicht zurückblicken; nie. Sonst verschwindet sie in dem Abgrund aus Bitterkeit, den die Algerienfranzosen bei ihrer Abreise zurückgelassen haben. Ich darf nicht zurückblicken, sondern sie nur aus der Hölle holen und bei ihr bleiben; und nie von dem sprechen, was vorher war.«
    »Und was haben Sie gemacht, seit Sie gemeinsam hier leben?«
    »Nichts. Hast du dich nie gefragt, was ein Mann und eine Frau tun, die sich bei einem Actionfilm kennengelernt haben? Was sie nach dem Film tun? Die Antwort ist gar nichts. Der Film ist zu Ende, das Licht geht aus, man kehrt nach Hause zurück. Ich habe einen kleinen Garten angelegt, du hast ihn gesehen, da wächst nicht viel.«
    »Haben Sie keine Kinder?«
    »Nein. Wenn man so etwas erlebt hat wie wir, dann hat man entweder sehr viele und denkt nur an sie, oder man hat keine und denkt eher an sich. Wir lieben uns genug, glaube ich, um nur an uns zu denken.«
    Sie verstummten beide; sie schwiegen gemeinsam, das ist noch intimer als gemeinsam etwas zu erzählen. Ich brach das Schweigen nicht.
    Durch die offene Tür sah ich einen Flur, und am Ende des Flurs hing ein Messer an der Wand, das durch einen Luftzug leicht hin und her schwang, obwohl ich keinen Luftzug spürte, und alle Fenster geschlossen waren. Von der abgewetzten Lederscheide ging ein dunkelroter Schimmer aus, fast wie die Farbe von unbehandeltem Rohleder, die Farbe des Abends, der allmählich anbrach, die Farbe einer rostbedeckten Klinge; die Farbe von verkrustetem Blut, das die Klinge umgibt und sie völlig verhüllt. Man sah die Klinge nicht, die von einer Lederscheide, von Rost, von getrocknetem Blut umgeben war, sondern sah nur eine rötliche Ausstrahlung, die an einer an einem Nagel hängenden Kordel hin und her schwang. Das Blut bewegt sich unentwegt von selbst, es strahlt einen dunklen Schimmer aus, eine sanfte Wärme, die uns am Leben hält.
    »Die Malerei hat mir geholfen«, sagte er schließlich, »geholfen, nicht zurückzublicken. Um zu malen, muss ich ganz da sein, das ist alles; dank der Malerei begnügt sich mein Leben mit einem Blatt. Ich kann dir die Kunst des Pinselstrichs beibringen, wenn du weiterhin zu mir kommst, es ist eine bescheidene Kunst, nur das Maß dessen, was man mit den Händen, einem Büschel eng eingefasster Borsten und einem Tropfen Wasser zu tun vermag. Wenn du die Kunst des Pinselstrichs so praktizierst, wie es sich gehört, erlaubt sie dir, ohne Hochmut zu leben. Sie erlaubt dir nur, dich zu vergewissern, dass alles da ist, vor dir, und dass du alles richtig gesehen hast. Die Welt existiert, und das ist gut so, auch wenn sie von unvorstellbarer Grausamkeit und großer Gleichgültigkeit ist.
    Er verstummte wieder. Ich brach das Schweigen nicht. Ich hörte nur noch unseren Atem, den meinen, den ihren und den der beiden alten Leute, den Atem des mageren, großen Mannes und den der Frau mit der leicht zerknitterten Haut, ihren etwas pfeifenden, rasselnden Atem, er war mit den Jahren unregelmäßig geworden. Mein Herz saß neben mir und hatte noch kein Wort gesagt. Sie hatte Salagnon betrachtet und alles, was er gesagt hatte, aufgesogen, sie blickte dem alten Mann fest in die Augen, der mir Dinge berichtete, von denen ich nichts wusste, und mich als Gegenleistung eine Kunst

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