Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
anerkennend mit der Zunge. Er vermied es bewusst, den Blick in Richtung des Onkels zu wenden.
»Worin besteht Ihre Rolle im Einzelnen?«, fragte dieser daraufhin mit unschuldiger Stimme.
Es kostete den Blockwart eine gewisse Anstrengung, um sich ihm zuzuwenden, aber sein unruhiger Blick hatte Mühe, ihn zu fixieren.
»Ich muss dafür sorgen, dass die öffentliche Ordnung nicht gefährdet wird; überprüfen, dass jeder in seiner Wohnung lebt und dass alles möglichst reibungslos verläuft. Die Polizei hat andere Aufgaben, sie kann nicht für alles da sein. Wohlgesinnte Bürger können ihr helfen.«
»Sie üben eine edle und zugleich undankbare Aufgabe aus. Ordnung muss sein, nicht wahr? Das haben die Deutschen schon vor uns begriffen; und irgendwann werden wir das auch wohl begreifen. Wir haben verloren, weil bei uns keine Ordnung mehr herrschte. Niemand wollte mehr gehorchen, an seinem Platz bleiben, seine Pflicht erfüllen. Die Genuss-Sucht ist uns zum Verhängnis geworden; vor allem die der unteren Schichten, ermutigt durch dumme, laxe Gesetze. Sie haben das Trugbild des leichten Lebens der Gewissheit des sicheren Todes vorgezogen. Ein Glück, dass Menschen wie Sie uns auf den Boden der Realität zurückbringen. Sie haben meine volle Anerkennung, Monsieur.«
Er hob sein Glas und prostete ihm zu, sodass der Blockwart gezwungen war, mit ihm anzustoßen, obwohl er den Eindruck hatte, dass diese geschraubte Rede ein paar Fallen enthalten müsse. Aber der Onkel stellte eine bescheidene Miene zur Schau, die Victorien von ihm nicht kannte. »Meinst du das im Ernst?«, flüsterte er. Der Onkel reagierte mit einem Lächeln naiver Freundlichkeit, die eine gewisse Befangenheit am Tisch hervorrief. Der Blockwart stand auf und drückte die Flasche an sich.
»Ich muss noch meine Runde zu Ende führen. Sie werden morgen verschwunden sein. Und ich habe nichts Ungewöhnliches bemerkt.«
»Seien Sie unbesorgt, ich werde Ihnen keine Scherereien bereiten.«
Der Ton, allein der Ton vertrieb den Blockwart. Der Vater schloss die Tür hinter ihm, presste das Ohr an die Füllung und tat so, als lausche er sich entfernenden Schritten. Dann kam er zum Tisch zurück und ahmte dabei den lautlosen Schritt der Wölfe nach.
»Schade«, sagte er lachend. »Wir hatten zwei Flaschen, und wegen dieses verflixten Krieges haben wir nur noch eine.«
»Genau darin liegt das Problem.«
Der Onkel verstand es, mit wenigen Worten eine ungemütliche Atmosphäre zu schaffen. Er führte die Sache nicht weiter aus. Victorien wusste, dass er eines Tages diesem Mann oder seinesgleichen folgen würde, wohin sie auch gingen, wie weit sie auch gingen. Er würde diesen Männern folgen, die es mit dem haarscharf getroffenen Ton ihrer Sätze erreichten, dass die Tore sich vor ihnen öffneten, die Winde sich legten und die Berge sich versetzten. Seine ganze ziellose Kraft würde er diesen Männern anvertrauen.
»Du warst nicht gezwungen, sie ihm zu geben«, sagte die Mutter. »Er wäre bestimmt von selbst gegangen.«
»Aber so ist die Sache sicherer. Jetzt ist er uns etwas schuldig. Man muss es verstehen, jemanden zu kompromittieren.«
Die Mutter ließ es dabei bewenden. Auf ihren schönen roten Lippen zeichnete sich an jenem Abend nur ein etwas spöttisches, etwas ergebenes Lächeln ab. Wenigstens sie hatte im Krieg ihren Platz behalten, denn für sie war der Feind der gleiche geblieben: ihr Mann.
Hinter der Großen Lehranstalt erstreckte sich ein mit Bäumen bepflanzter, von einer Mauer umgebener Park. Von innen konnte man das Ende des Parks nicht erkennen, so groß war er, und man konnte sich vorstellen, dass die Wege unter den Bäumen bis zu den bläulichen, über dem Laub schwebenden Gipfeln führten. Wenn man diese Wege mit der Absicht einschlug, den Park zu durchqueren, lief man sehr lange zwischen schlecht gestutzten Büschen und unter wild wachsenden niedrigen Ästen, überquerte weite Flächen mit Farnkraut, das sich hinter einem wieder schloss, und ging auf verlassenen Pfaden durch schlammige Pfützen; weiter hinten kam man an ausgetrockneten Wasserbecken entlang, an moosbewachsenen leeren Brunnen, an mit Ketten verschlossenen Häuschen, deren Fenster weit offen standen, und schließlich gelangte man an diese Mauer, deren Existenz man schon wieder vergessen hatte, während man sich so oft niedergebeugt hatte, um Ästen auszuweichen, oder über dicke Laubteppiche hatte stapfen müssen. Die hohe Mauer schien endlos lang zu sein, und nur schwer zu
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