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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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vibrierende Membrane das Herz war. Bäume stießen langsam gegeneinander, knackten ununterbrochen, Tropfen fielen hier und dort mit dem Geräusch von knisterndem Papier herab und trafen sie bisweilen, und sie mussten sich zu einer sehr langsamen, möglichst lautlosen Handbewegung durchringen, um sich abzuwischen.
    Die anderen würden bald kommen.
    Ein hölzernes Geräusch ertönte, ein Ast, der gegen einen Stamm schlug: die Seher gingen an der ersten Gruppe vorbei. Sie hatten an den Stamm eines abgestorbenen Baum geschlagen.
    Die Seher zuckten zusammen und setzten ihren Weg fort. Im Wald gibt es Geräusche, auf die man nicht zu achten braucht, und andere, auf die man horchen muss, aber es ist schwer, sie zu unterscheiden. Sie waren zu viert, gingen mit bedächtigen Schritten Schulter an Schulter, jeder überwachte einen Rand des Weges. Die Fänger würden sich ihnen nicht nähern können, ohne gesehen zu werden. Die vier Jungen gingen Schritt für Schritt mit zitternden Nasenflügeln den Weg entlang; das ist zwar nutzlos, aber wenn die Menschen auf der Hut sind, sind alle Organe in Alarmbereitschaft. Sie gingen an Salagnon vorbei, der sich nicht rührte, niemand rührte sich, alle vier liefen an ihm vorbei. Da rief Salagnon: »Zwei!« Die zweite Gruppe, die ganz in der Nähe war, sprang auf und rannte auf die Seher zu. Diese hörten das Geräusch der zerbrechenden Reiser und schrien voller Freude über den Sieg: »Gesehen! Gesehen!« Die Fänger blieben stehen und hoben den Spielregeln zufolge die Hände. Die Seher vergaßen darüber alle Vorsicht und gingen auf die Jungen zu, um sie gefangen zu nehmen. Sie lachten vergnügt, dass sie so leicht gewonnen hatten, ihre Waffen waren nun mal die stärkeren. Sie wollten die Namen der Gefangenen nennen, wie es die Regeln vorschrieben, aber ihr Lachen hinderte sie am Sprechen. Sie verloren Zeit. »Drei!«, brüllte Salagnon, und sogleich sprang die dritte Gruppe aus dem Farnkraut und war mit einem Satz bei den Sehern. Sie packten sie am Rücken, ehe sie sich umdrehen konnten. Nur einer entkam, ohne ein Wort zu sagen, und bog in den erstbesten Weg ein. »Vier!«, schrie Salagnon, nachdem er die Hände trichterförmig an den Mund gelegt hatte. Der abgehetzte Flüchtige, der hinter der ersten halb verborgenen Abzweigung stehen geblieben war und sich an einen Baum gelehnt hatte, um wieder zu Atem zu kommen, wurde von der vierten Gruppe ergriffen, die genau hinter jenem Baum versteckt war, an dem der Junge Stärkung gesucht hatte.
    Andere Schreie ertönten aus Richtung der ehemaligen Wachstube. Die erste Gruppe kam herbei; die Jungen hielten die letzten kleinlauten Seher am Wickel, nachdem sie sie von hinten gepackt hatten, während diese dem Lärm entgegenrannten. Sie waren einfach losgelaufen, ohne irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, ganz sicher, dass sie im Handumdrehen viele Gefangene machen würden, völlig gefahrlos, aus der Ferne, nur mit ihrem Blick als Waffe. Aber nein. Sie waren alle gefangen genommen worden.
    »So, das wär’s«, sagte Salagnon.
    »Wir haben euch doch gesehen«, protestierten sie.
    »Ihr habt aber unsere Namen nicht genannt. Keine Namen, kein Sieg. Verlierer haben keinerlei Rechte und halten den Mund. Lasst uns zurückgehen.«
    Der junge Priester hatte sich im Raum der Pfadfinder neben dem Ofen niedergelassen, in dem ein paar Reiser brannten. Als die Jungen den Raum betraten, zuckte er zusammen, sprang auf und ließ dabei ein Buch fallen, von dem er nur eine einzige Seite gelesen hatte. Er hob es auf und hielt es so, dass die Jungen den Titel nicht lesen konnten.
    »Wir haben gewonnen, ehrwürdiger Vater.«
    »So schnell? Aber das Spiel sollte doch mindestens zwei Stunden dauern.«
    Die Fänger ließen die niedergeschlagenen Seher hereinkommen, jeweils einen zwischen zwei Fängern, die ihn fest in ihrer Mitte hielten. Der Junge, der mit den Brombeersträuchern Bekanntschaft gemacht hatte, war besonders stolz, seine Gefangenen hereinführen zu können und schob sie etwas kräftiger als nötig in den Raum, und sie ließen sich schieben.
    »Ich gratuliere, Salagnon. Sie sind ein großer Feldherr.«
    »All das ist ziemlich lächerlich, ehrwürdiger Vater. Das sind nur Kinderspiele.«
    »Die Spiele bereiten auf das Erwachsenenalter vor.«
    »In Frankreich gibt es kein Erwachsenenalter mehr, ehrwürdiger Vater, zumindest nicht für die Männer. Unser Land ist nur noch von Frauen und Kindern bevölkert und einem einzigen Greis.«
    Der Priester

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