Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
findende kleine Türen hätten erlaubt, den Park zu verlassen; doch ihre verrosteten Schlösser ließen sich nicht mehr öffnen. Niemand kam so weit.
Die Große Lehranstalt stellte diesen Park den Pfadfindern zur Verfügung. Er eignete sich für sie genauso gut wie jeder Wald, war sogar noch sicherer, und vorausgesetzt sie verließen ihn nicht, konnten sie in dieser Enklave aus Natur und athletischer Frömmigkeit anstellen, was sie wollten.
Die Gruppe versammelte sich in der mit Kirchenbänken eingerichteten ehemaligen Wachstube. Es gab keine Wachposten mehr, das Haus verfiel allmählich, und hortete die Kälte der letzten Jahre. Die kleinen Pfadfinder in kurzen Hosen schlotterten und stießen Atemwolken aus. Sie rieben sich die Hände an den Knien und warteten auf das Signal für das große Spiel, um sich endlich beim Laufen aufwärmen zu können. Aber sie mussten ausharren und sich die einleitenden Worte des bärtigen jungen Priesters anhören, einer von denen, die auf dem Schulhof ihre Soutane hoben, um mit ihnen Fußball zu spielen.
Er sprach immer vorher eine Weile, diese Ansprachen waren zu lang. Er hielt ihnen einen Vortrag über die Tugenden der griechischen Kunst der Gymnastik. Für die kleinen Pfadfinder mit nackten Knien war »Gymnastik« jedoch nur ein schulmeisterliches Synonym für »Sport«, und sie schlotterten geduldig weiter, fest davon überzeugt, dass die Übungen erwärmten, und voller Ungeduld, mit ihnen zu beginnen. Nur Salagnon bemerkte, mit welchem Nachdruck der junge Priester in diesem Zusammenhang den Begriff gymnós verwandte, an dem er zu hängen schien. Jedes Mal, wenn er ihn nannte, blieb seine Stimme in der Schwebe, Salagnon nickte ihm dann zu, und die Augen des jungen Priesters nahmen vorübergehend einen metallischen Glanz an, wie ein Fenster, das beim Öffnen ganz kurz den Glanz der Sonne widerspiegelt; man sieht ihn nicht, dafür ist die Zeit zu kurz, aber man spürt die blendende Wirkung, ohne zu wissen, woher sie kommt.
Die kleinen Pfadfinder erwarteten gleichgültig das Ende der Ansprache. In ihrem kümmerlichen Aufzug war ihnen so kalt, als seien sie nackt. An diesem Winternachmittag konnte sie nichts anderes aufwärmen, als sich zu regen, zu rennen, sich auf die eine oder andere Weise Bewegung zu verschaffen. Nur Bewegung konnte sie vor dem Eindringen des Frosts schützen, und genau die versagte man ihnen.
Als der junge Priester seine Rede beendet hatte, standen die kleinen Pfadfinder auf, der Beweis dafür, dass sie zugehört hatten. Sie hatten ungeduldig auf das Ende der Sätze gewartet, wenn die Stimme deutlich bis zum Schlusspunkt absinkt, was leicht zu hören ist. Und dann standen die kleinen, mit der Musik von Ansprachen vertrauten Pfadfinder wie ein Mann auf. Der junge Priester war gerührt von ihrem Schwung, der dem zarten Alter der ausgehenden Kindheit eigen ist, und der leider nicht anhält, genau wie bei Blumen. Und er kündigte ein großes Fangspiel an.
Die Regeln des Spiels waren einfach: Zwei Gruppen verfolgen einander im Wald; die eine muss die andere fangen. In dem einen Lager wird gefangen, indem man das Opfer berührt, im anderen, indem man das Opfer nur sieht. Für die einen ist es verhängnisvoll, gesehen zu werden, und für die anderen, berührt zu werden.
Der junge Priester benannte die beiden Gruppen: Minos und Medusa, sagte er, denn er war gebildet. Aber die kleinen Pfadfinder sprachen von Fängern und Sehern, denn sie hatten eine direktere Ausdrucksweise; und andere Sorgen.
Salagnon war König Minos, der Anführer der Fänger. Er verschwand mit seiner Gruppe im Unterholz des Parks. Sobald sie den Waldrand erreicht hatten, ließ er sie im Gleichschritt marschieren. Mit kleinen Schritten in einer Kolonne; und sie taten es, denn anfangs gehorcht man immer. Als sie eine Lichtung erreicht hatten, teilte er sie in Dreiergruppen ein, deren Mitglieder stets zusammenbleiben mussten. »Sie brauchen uns nur zu sehen, und schon haben wir verloren; wir dagegen müssen uns ihnen nähern, bis sie in Reichweite sind. Ihre Waffe hat eine viel größere Tragweite als unsere. Aber zum Glück haben wir den Wald. Und wir werden uns entsprechend organisieren. Sie sind zu vertrauensselig, denn sie glauben, dass sie gewinnen, aber ihr Vertrauen lässt sie verwundbar werden. Unsere Schwäche zwingt uns, umsichtig zu reagieren. Und unsere einzige Waffe besteht im Gehorsam. Ihr müsst gemeinsam denken und gemeinsam handeln, und zwar genau in dem Augenblick, da sich eine
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