Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Händen davon.
Mehrere Wochen lang widmete er sich dem Zeichnen. Er verbesserte seine Technik, indem er Werke großer Meister kopierte: er stellte sich im Musée des Beaux-Arts vor die Gemälde oder setzte sich in der Bibliothek vor einen Stapel aufgeschlagener Bücher. Er zeichnete Körperhaltungen, zunächst Aktdarstellungen aus der Klassik, bis ihn das langweilte. Dann reproduzierte er Dutzende von Bildern des entblößten Christus am Kreuz, alle, die er fand, danach ersann er eigene Versionen. Er suchte seine Nacktheit, sein Leiden, seine Selbstaufgabe. Wenn das Geschlecht mittels eines stilistischen Kunstgriffs durch ein Kleidungsstück, einen Faltenwurf oder Blätter verhüllt war, zeichnete er es nicht. Er ließ die Stelle frei, ohne sie durch etwas zu ersetzen, denn er wusste nicht, wie man einen Hodensack malt.
Eines Abends entwendete er den kleinen Spiegel, den seine Mutter für ihre Toilette benutzte. Er wartete, bis alle schliefen und zog sich aus. Er hielt den Spiegel zwischen seine Beine und zeichnete mit verkrampften Schenkeln dieses Organ, das den Statuen fehlt. So vervollständigte er seine Zeichnungen. Den Frauenkörpern, die er ebenfalls kopiert hatte, fügte er nichts hinzu, bis auf einen senkrechten Strich, das schien durchaus zu genügen.
All das nahm einen Teil der Nacht in Anspruch. Zeichnen hinderte ihn daran zu schlafen.
Wie sah das Leben anderswo aus? Anderswo lagen Jungen im gleichen Alter, von gleicher Größe, von gleichem Leibesumfang und mit gleichen Interessen, wenn man sie in Ruhe gelassen hätte, im Schnee, in der Hoffnung, dass sie nicht einschliefen, und vor allem, dass ihr Maschinengewehr nicht einfror; oder sie füllten mitten in der Wüste Säcke mit Sand, um in praller Sonne, wie man es sich nicht vorstellen kann, wenn man das nicht erlebt hat, Unterstände zu befestigen; oder sie krochen auf dem Bauch durch den ekligen tropischen Schlamm, der immerzu in Bewegung zu sein scheint, und hielten ihre Waffe, die jederzeit Ladehemmung haben konnte, über dem Kopf, ohne diesen jedoch zu sehr zu heben, damit er nicht ein leichtes Ziel bot. Manche beendeten ihr Leben mit erhobenen Händen vor dem Ausgang eines in Flammen stehenden Bunkers, wo sie reihenweise umgelegt wurden, so wie man Brennnesseln mäht, andere verschwanden in einem Blitz, ohne eine Spur zu hinterlassen, in dem Hammerschlag, der dem Pfeifen gleichzeitig abgeschossener Raketen folgte, die durch die Luft schossen und alle gleichzeitig einschlugen; andere starben an einem einfachen Messerschnitt in die Kehle, der die Schlagader durchtrennte, sodass sie ausbluteten. Andere überwachten die Schockwellen der Explosionen hinter Stahlwänden, die sie auf dem Grund der Meere vor dem Zermalmen schützten; andere hatten ständig das nach unten gerichtete Zielgerät im Auge, bis die unter ihrem Rumpf dahingleitenden Wohnhäuser im Fadenkreuz auftauchten, und wieder andere warteten in von Stacheldraht umgebenen Holzbaracken, die sie nie verlassen würden, auf das Ende. Leben und Tod waren in der Ferne eng miteinander verschlungen, doch die Jungen blieben hier im sicheren Schoß der Großen Lehranstalt.
Selbstverständlich war es nicht warm. Der Brennstoff war dem Krieg vorbehalten, den Schiffen, den Panzern, den Flugzeugen, was es unmöglich machte, die Klassenräume zu heizen, aber sie saßen auf Stühlen, vor Tischen, hinter mehreren dicken Wänden, die es ihnen erlaubten, so sitzen zu bleiben. Zwar nicht im Warmen, dafür reichte es nicht, aber in Ruhe.
Die Große Lehranstalt überlebte, schloss die erforderlichen Kompromisse, um es mit keinem zu verderben, vor allem nicht mit einem. Das Wort »Krieg« wurde dort nie ausgesprochen, die einzige Sorge galt den Examen.
Pater Fobourdon interessierte sich nur für die moralische Seite seiner Aufgabe. Er gab mit knappen Worten Anweisungen und ließ sich gelegentlich zu gelehrten Exkursen hinreißen, denen man Dinge entnehmen konnte, die er nicht wirklich sagte. Aber dazu musste man den Geist ein wenig anstrengen und es wirklich wollen, und wenn man ihn darauf aufmerksam gemacht hätte, hätte er zunächst Überraschung vorgetäuscht, dann hätte er einen Wutanfall bekommen, der das Gespräch mit einem Schlag beendet hätte.
In jedem Winter beobachtete er, wie der Schnee fiel, dieser herabschwebende federleichte Flaum, der beim Kontakt mit den ihn erwartenden Pflastersteinen verschwand. Und dann rief er plötzlich mit lebhafter Stimme, die alle hochschrecken ließ: »Arbeiten
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