Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Blicken keinerlei Angriffsfläche. Aus Angst, uns anzustecken, vermieden wir es, uns gegenseitig anzusehen, und daher sahen wir ihn an, während er die Medikamente aushändigte, und das tat er nicht schnell genug. Er las die Rezepte sorgfältig durch, überprüfte sie mehrmals, nickte wortlos, aber mit argwöhnischer Miene, stellte seufzend eine Frage und schätzte mit einem Blick den Kunden anhand seines Aussehens ein; dann ging er in den mit Regalen eingerichteten Nebenraum und holte die dringend benötigte Arznei, auf die der Kranke wartete, von einem Bein aufs andere tretend, stumm, vor unaussprechlicher Wut brodelnd.
Hinter der mit Panzerglas gesicherten Tür, die ab 22 Uhr 30 abgeschlossen wurde, gingen athletische junge Männer in Gruppen auf und ab, riefen einander etwas zu, schrien am Telefon oder klatschten sich laut lachend ab. Sie kamen nachts, und ihr Spiel bestand darin, auf dem Bürgersteig hin und her zu gehen, sich an die Wände zu lehnen, einander lachend anzurempeln und die Passanten mit arrogantem Blick zu betrachten; sie kamen nachts hierher, vor die Nachtdienst-Apotheke, in das Lichtviereck, das durch die ab 22 Uhr 30 abgeschlossene und verriegelte dicke Glastür auf den Bürgersteig fiel. Sie kamen wie Nachfalter, bewegten sich hinter der Tür hin und her, die für sie verschlossen blieb, weil sie kein Rezept hatten. Sie wurden es nicht müde. Sie gingen am Schaufenster vorbei, warfen jedes Mal einen Blick auf die Leute, riefen einander etwas zu oder klatschten sich lachend ab. Der Strom der Opfer erregte sie, der Strom des ausgegebenen Geldes, der Strom der dort verteilten Medikamente; sie betrachteten die Passanten mit arrogantem Blick, und obwohl sie kein Wort sagten, begriffen alle, worum es ging. Die Besorgnis der Kranken, die sich einen Weg durch die Aufsässigen bahnen mussten, brachte sie zum Lachen, die Kunden, die mit dem Rezept in der Hand und mit gesenktem Kopf mitten durch die Gruppe gehen mussten, um an der Tür zu klingeln und zu warten, sie taten so, als würden sie auf nichts anderes hoffen, als dass die Nachtdienst-Apotheke ihnen Zugang gewährt.
Eine Frau in der Schlange im Inneren der Apotheke sagte: »Ich weiß nicht, was sie haben, aber ich finde, seit ein paar Tagen sind sie ziemlich unruhig.« Eine Woge der Zustimmung lief durch die Schlange. Alle begriffen, worum es ging, ohne einander anzusehen, ohne den Blick zu heben, ohne dass es nötig war, sich klarer auszudrücken. Aber niemand wollte darüber sprechen, denn darüber ließ sich nicht sprechen: so etwas konnte nur vorgebracht und geglaubt werden.
Die Spannung nahm zu Beginn des Sommers zu; die Spannung nahm in den kurzen, lauen Nächten zu. Athletische junge Männer gingen mit nacktem Oberkörper durch die Stadt. Der Laborant mit dem afrikanischen Namen überprüfte die Gültigkeit der Rezepte, die Personalien, und verlangte Sicherheiten, was die Bezahlung anging. Aus den Augenwinkeln überwachte er das Lichtviereck auf dem Bürgersteig, über das immer wieder lachende junge Leute mit wiegenden Schritten liefen.
Wenn er mit einem Kunden fertig war, holte er ein großes Schlüsselbund hervor und öffnete ihm die Tür aus kugelsicherem Glas. Er öffnete sie nur einen Spalt, um den Kunden hinauszulassen, und verschloss sie hinter ihm wieder mit dem Rasseln von gegeneinanderschlagenden Schlüsseln und dem Geräusch der Gummidichtung, die sich schließt, ohne Luft hindurchzulassen. Dann stand der Kunde vor verriegelter Tür allein auf dem Bürgersteig und drückte eine mit einem grünen Kreuz bedruckte Papiertüte an sich, was bei den jungen Leuten, die auf dem Bürgersteig auf und ab gingen, spöttische Unruhe hervorrief, wie die von Mücken, die sich nähern und wieder wegfliegen, ohne sich zu setzen, ohne gesehen zu werden, nur mit einem leisen Surren wie ein Lachen, und der Kunde musste in der Dunkelheit ganz allein mitten durch die Gruppe von athletischen jungen Männern gehen, wobei er seine kleine Tüte mit kleinen Schachteln voller kostbarer Wirkstoffe, die ihn heilen sollten, an sich drückte, er musste mitten durch die Gruppe gehen, ihnen ausweichen und ihre Blicke meiden, aber es passierte nie etwas; nur Unruhe war da.
Der Laborant ließ nur jene herein, deren Miene ihm zusagte, nur jene, die klingelten und dabei ihr Rezept zeigten. Er öffnete oder wies ab. Er sagte kein Wort. Er las die Rezepte, überprüfte das Etikett der kleinen Schachteln und die Bezahlungsweise. Mehr nicht. Seine Gesten waren die
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