Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
einem solchen typischen Ausbruch französischer Gewalt getan? Ich hatte Schmerzen. Der Virus verwüstete meine Kehle, ich brauchte ein schmerzstillendes Mittel, ich sehnte mich danach, meinen Schmerz in eine gedämpfte Indolenz verwandeln zu lassen. Und daher sagte ich nichts; ich wartete darauf, dass ich an die Reihe kam; wartete, dass man mir das Mittel gab.
Selbstverständlich geschah nichts. Was soll schon in einem geschlossenen Raum passieren, der mit einer kugelsicheren Glastür verriegelt ist? Was soll passieren, außer, dass man erstickt?
Der Handel ging weiter. Der Laborant gab dem Mann seufzend, was er verlangte. Er wusch seine Hände in Unschuld. Als der Typ bekommen hatte, was er wollte, rief er gereizt: »Na also!«, und ging mit großen Schritten auf den Ausgang zu und warf dabei jedem Einzelnen in der Warteschlange vernichtende Blicke zu. Der Laborant öffnete ihm die Tür und kehrte zum Ladentisch zurück. »Der Nächste bitte!« Die Nacht verlief für ihn ohne Zwischenfälle. Die Schlange rückte auf. Die kleine Frau legte ein zerknittertes, schon oft benutztes Rezept vor und deutete bettelnd mit zitterndem Finger auf eine Zeile. Achselzuckend ging er darauf ein. Er verkaufte Psychopharmaka, er verkaufte Somatropika; demjenigen, der seinen Arzt gut kannte, gab er, was er haben wollte, den anderen gab er das, was auf dem Rezept stand, und manchen gewährte er noch zusätzliche Medikamente; die Legalität war Schwankungen unterworfen, verbale Gewalt konnte das gewünschte Ergebnis herbeiführen, Vergünstigungen besänftigten Reibereien.
Endlich verließ ich mit meinen Medikamenten die Apotheke. Der Laborant öffnete mir die Tür und verschloss sie wieder hinter mir, ich ging mitten durch die Gruppe aufgeregter junger Leute, und es geschah nichts.
Schatten glitten durch die Nacht; Menschen halten in der Nacht Selbstgespräche, aber man weiß nicht mehr, ob es sich um Verrückte handelt oder ob man das Handy nicht sieht. Aus den Steinen strömte die Hitze des Tages, in der Luft lag eine starke, vibrierende Spannung, zwei Polizeiwagen voller junger Männer begegneten sich im Schritttempo, betätigten ganz kurz die Lichthupe und glitten lautlos weiter. Sie suchten die Quelle der Gewalt, und wenn sie sie fanden, würden sie sich auf sie stürzen.
O wie schlecht alles ging! Ich konnte nicht schlucken. Ich fragte mich, an welcher Krankheit ich litt, die mich zwang, unentwegt zu reden, um nicht an meinem Speichel zu ertrinken. An welcher Krankheit? Eine Attacke durch einen Virus, der aus der großen fernen Wüste stammte? Und nach diesem Angriff verwüstete meine körpereigene Abwehr die Kehle; mein Immunsystem säuberte, befriedete, entfernte, zerstörte meine eigenen Zellen, um deren Krankheitskeime auszumerzen. Viren sind wie Worte, durch Schweiß, Speichel oder Sperma übermittelte Informationen, und diese Worte dringen in meine Zellen ein, verschmelzen mit meinen eigenen Worten, und anschließend spricht mein Körper die Sprache des Virus. Und dann tötet mein Immunsystem meine eigenen Zellen, eine nach der anderen, um sie von der Sprache des anderen zu reinigen, der tief in meinem Inneren flüstern möchte.
Überall sind die Straßen beleuchtet, und doch flößen sie noch immer Angst ein. Sie sind so hell erleuchtet, dass man unter den Laternen lesen könnte, aber niemand liest, weil niemand dableibt. Auf der Straße zu bleiben gehört sich nicht. Alles ist hell erleuchtet, sogar die Luft scheint zu schimmern, aber diese Beleuchtung ist eine Täuschung: Die Lampen schaffen mehr Schatten als Licht. Das Problem der Laternen besteht darin, dass das Licht alle Schatten verstärkt, die es nicht augenblicklich vertreibt. So wie auf den öden Ebenen des Mondes schafft das kleinste Hindernis, die kleinste Unebenheit einen so dunklen Schatten, dass er sich nicht von einem Loch unterscheiden lässt. Und daher weicht man in kontrastreichen Nächten den Schatten aus, für den Fall, dass es sich tatsächlich um Löcher handeln sollte.
Man bleibt nicht draußen, man macht sich schnell davon, Autos fahren langsam an den Bürgersteigen entlang, im selben Tempo wie die Passanten, die hinter dunklen Scheiben von mehreren Augenpaaren angestarrt werden, dann fahren die Autos weiter, gleiten durch die Straßen, suchen die Quelle der Gewalt.
Die Gesellschaft ist krank. Sie liegt schlotternd im Bett. Sie will nichts mehr hören. Sie hütet das Bett bei zugezogenen Vorhängen. Sie will nichts mehr von sich wissen. Ich
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