Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Warum erzählte er das in meiner Gegenwart, obwohl ich noch ein Kind war? Warum wollte er, ohne es in Worte zu fassen, die Begattung beschreiben, die den Ursprung unseres Blutes bildete?
Er riet jedem von uns, einen Tropfen Blut untersuchen zu lassen, damit wir alle, die wir an jenem Wintertag in seinem Wohnzimmer versammelt waren, erfuhren, von welchem Volk wir abstammten. Denn jeder von uns müsse von einem Volk aus grauer Vorzeit abstammen. Und so würden wir verstehen, wer wir seien, und könnten endlich das Rätsel der furchtbaren Spannungen begreifen, die uns beseelten, sobald wir zusammen waren. Der Tisch, an dem wir saßen, würde dann zu jenem eisigen Kontinent werden, den Gestalten aus grauer Vorzeit durchzogen, jede von ihnen ausgerüstet mit Waffen und Standarten, dem anderen völlig fremd.
Sein Vorschlag fand kein Echo. Er flößte mir panische Angst ein. Ich saß ein wenig tiefer als die anderen auf einem meiner Größe angemessenen Hocker, und dort unten nahm ich ihre Befangenheit deutlich wahr. Niemand erwiderte etwas, weder um ja noch um nein zu sagen. Man ließ ihn ausreden, ohne auf seinen Vorschlag zu reagieren. Und man duldete es, dass die beiden scharfen Hunde, »Kelte« und »Ungarin«, die er auf uns losgelassen hatte, zwischen uns herumliefen, den Boden ableckten, uns mit Geifer besudelten und uns zu beißen drohten.
Warum wollte er an jenem Wintertag, an dem wir bei ihm waren, ein altes Europa mit wilden Völkern und Klans unter uns wieder auferstehen lassen? Wir waren um ihn versammelt, eine große Familie, die seinen blauen Samtsessel umringte, in dem er umgeben von einem Nagelkranz unter jenem Messer saß, das an der Wand hing und lautlos hin und her schwang. Er wollte, dass wir einen Tropfen unseres Blutes untersuchen ließen und dass wir in diesem Blut die Geschichte von Kämpfern, die Geschichte von nicht beizulegenden Konflikten lesen konnten, die unseren Körpern noch in irgendeiner Form anhafteten. Warum wollte er uns voneinander trennen, obwohl wir doch um ihn herum versammelt waren? Warum wollte er uns ohne Bande sehen? Dabei rann in unseren Adern dasselbe Blut.
Ich will nichts darüber wissen, was man in einem Tropfen meines Blutes lesen kann. Ich bin schon von ihrem Blut vollgekleckst, das reicht mir, mehr will ich darüber nicht sagen. Ich will nichts über das Blut wissen, das zwischen uns fließt, ich will nichts über das Blut wissen, das an uns herabfließt, aber er erzählt weiter von der Rasse, die man in uns bestimmen kann und die der Vernunft entgeht.
Er redete weiter. Behauptete in dem Strom der Generationen lesen zu können. Er forderte uns auf, seinem Beispiel zu folgen, uns an dieser Lektüre zu berauschen, so wie er es tat, gemeinsam in dem Strom zu baden, der zur menschlichen Zeit wird. Er forderte uns auf, gemeinsam mit ihm in dem Blutstrom zu baden; das sollte unser Band sein.
Mein Großvater geriet in Begeisterung. Er erging sich in Andeutungen über die Resultate des Labors, die zwar nichts klar zum Ausdruck brachten, bei ihm aber alle möglichen Vorstellungen erweckten. Ein Diskurs, der das Konzept der Rasse zu etablieren versucht, bewegt sich immer hart an der Grenze zum Delirium. Niemand wagte einen Kommentar abzugeben, alle blickten woandershin, und ich blickte von unten auf, stumm wie immer auf dem meiner Größe angemessenen Hocker. In der stickigen Luft des winterlichen Wohnzimmers entwickelte er in genießerischem Ton sein Rassenspektakel, starrte uns dabei nacheinander an und sah durch uns hindurch und zwischen uns endlose kriegerische Auseinandersetzungen von Gestalten aus grauer Vorzeit.
Ich weiß nicht, von welchem Volk ich abstamme. Aber das ist unwichtig, nicht wahr?
Denn Rassen gibt es nicht. Nicht wahr?
Diese Gestalten, die sich schlagen, existieren nicht.
Unser Leben ist viel friedlicher. Nicht wahr?
Wir sind alle gleich. Nicht wahr?
Leben wir nicht schließlich zusammen?
Nicht wahr?
Antworten Sie.
Ich lebe in einem Viertel, in das die Polizei nie oder nur sehr selten kommt; und wenn sie kommt, dann treffen die Beamten in kleinen Gruppen ein, die sich gemächlich unterhalten, mit auf dem Rücken verschränkten Händen daherschlendern und vor den Schaufenstern stehen bleiben. Sie stellen ihre blauen Busse am Rand der Bürgersteige ab, warten mit verschränkten Armen und blicken den vorübergehenden jungen Frauen nach wie jeder andere. Sie haben einen athletischen Körper, sind bewaffnet, verhalten sich aber wie Feldhüter. Ich
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