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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Boden. Ein von Kopf bis Fuß durchnässter junger Mann hakte sich bei mir ein; quietschvergnügt drückte er sich an mich, und wir gingen gemeinsam weiter. »Leihst du mir deinen Regenschirm bis zum Ende der Brücke?« Völlig ungeniert drückte er sich lachend an mich; er war total durchnässt und roch gut; seine fröhliche Unverfrorenheit brachte mich zum Lachen. Wir gingen Arm in Arm im gleichen Schritt bis zum Ende der Brücke. Ich hatte nur eine Hälfte meines Regenschirms für mich behalten und wurde auf einer Seite ganz nass, er schimpfte auf den Regen und redete die ganze Zeit auf mich ein. Wir lachten über jene, die über die Brücke rannten und über ihren Köpfen seltsame Rituale gegen den Regen vollzogen, ich amüsierte mich über seine Vitalität, seine unglaubliche Dreistigkeit brachte mich zum Lachen, dieser Typ konnte keine Sekunde still sein.
    Als wir das Ende der Brücke erreichten, war das Gewitter so gut wie vorbei. Es regnete kaum noch, das Regenwasser floss jetzt durch die Straßen ab, unter dem reingewaschenen Himmel nieselte es nur noch leicht. Er bedankte sich bei mir mit jenem Schwung, den er wohl sämtlichen Dingen zuteil werden ließ; er klopfte mir zum Abschied auf die Schulter und rannte unter den letzten Regentropfen fort. Er lief zu schnell an dem blauen Bus vorbei, der am Ende der Brücke parkte. Die bildschönen Athleten überwachten mit verschränkten Armen die Straße unter dem Vordach eines Geschäfts. Er rannte zu schnell, sah sie und änderte leicht die Richtung; einer von ihnen trat einen Schritt vor, tippte ganz kurz mit dem Finger an die Mütze und sprach den jungen Mann an; dieser geriet in Verwirrung und lief schnell weiter; er begriff nicht sogleich. Die Athleten stürzten los und rasten hinter ihm her. Der junge Mann rannte aus einem Reflex heraus weiter, dem Gesetz der Erhaltung der Bewegung entsprechend. Sie packten ihn.
    Ich ging im gleichen Tempo mit meinem geöffneten schwarzen Regenschirm weiter. Nach ein paar Schritten gelangte ich auf ihre Höhe. Die jungen Männer in blauem Overall knieten auf dem Bürgersteig und pressten den jungen Mann, mit dem ich über die Brücke gegangen war, auf den Boden. Ich machte Miene, den Schritt zu verlangsamen, nicht einmal stehen zu bleiben, nur zu verlangsamen, um vielleicht etwas zu sagen. Ich wusste nicht genau was.
    »Weitergehen, nicht stehen bleiben.«
    »Hat dieser junge Mann etwas verbrochen?«
    »Wir wissen, was wir tun, Monsieur. Gehen Sie bitte weiter.«
    Er lag auf dem Bauch, ein Arm war ihm auf den Rücken gedreht worden, und ein Knie presste seinen Mund gegen den Asphalt. Seine Augen drehten sich in ihren Höhlen, blickten zu mir auf. Er warf mir einen nicht zu ergründenden Blick zu, in dem ich Enttäuschung zu erkennen glaubte. Ich ging weiter, sie legten ihm Handschellen an und richteten ihn auf.
    Von mir hatten sie nichts verlangt; ihn hatten sie mit einer Geste aufgefordert, seinen Ausweis zu zeigen, um seine Personalien zu überprüfen. Hätte ich etwas sagen sollen? Man zögert, mit Ordnungsathleten zu diskutieren, sie sind angespannt wie Sprungfedern und bewaffnet. Sie lassen sich auf keine Diskussion ein. Sie interessieren sich nur dafür zu handeln, zu kontrollieren, zu überwachen. Sie sind ständig in Aktion. Ich hörte hinter mir, wie sie über Funk die Gründe für die Festnahme durchgaben. »Widerstand gegen die Staatsgewalt. Fluchtversuch. Verstoß gegen die Ausweispflicht.« Während ich mich entfernte, warf ich einen diskreten Blick zur Seite und sah, wie er mit auf dem Rücken gefesselten Händen im Polizeifahrzeug saß. Er fügte sich wortlos in sein Schicksal. Ich kannte diesen jungen Mann nicht. Sein Fall würde den üblichen Verlauf nehmen. Unsere Wege trennten sich. Vielleicht wussten die blau gekleideten Männer, was sie taten, die Klempner des Ordnungsstaates, vielleicht wussten sie etwas, was ich nicht wusste. Aber ich sagte mir: Das müssen sie schon unter sich ausmachen, das geht mich nichts an.
    Das verfolgte mich den ganzen Tag. Nicht die Ungerechtigkeit, noch meine Feigheit, noch der Anblick der Gewalt vor meinen Füßen, sondern diese beiden Worte, die mir spontan in den Sinn gekommen waren, lagen mir schwer im Magen: »unter sich«. Der unangenehmste Teil dieser Geschichte war also direkt in der Materie der Sprache verankert. Diese beiden Worte waren mir gemeinsam in den Sinn gekommen, und das Eklige daran war ihre Verknüpfung, von der ich nicht wusste, dass sie in mir präsent

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