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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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kann sagen, dass ich in einem ruhigen Viertel lebe. Die Polizei sieht mich nicht, und ich sehe sie nur selten. Dennoch habe ich eine Ausweiskontrolle miterlebt.
    Ich spreche darüber, als wäre es ein Schauspiel, denn da wo ich lebe, wird man nur selten kontrolliert. Warum sollte man auch meine Papiere verlangen? Weiß ich etwa nicht, wer ich bin? Wenn man mich nach meinem Namen fragt, nenne ich ihn. Das wär’s. Den kleinen Ausweis, auf dem mein Name steht, habe ich nie bei mir, wie viele Bewohner des Stadtzentrums. Ich bin mir meines Namens derart sicher, dass ich keine Eselsbrücke benötige, die mir auf die Sprünge hilft. Wenn man mich höflich danach fragt, nenne ich ihn, so wie ich jemandem, der sich verirrt hat, eine Auskunft geben würde. Niemand hat je auf der Straße von mir verlangt, ihm meinen Ausweis zu zeigen, den kleinen Ausweis mit den Farben Frankreichs, auf dem sich mein Name, mein Foto, meine Adresse und die Unterschrift des Polizeipräfekten befinden. Warum sollte ich ihn mit mir herumtragen? Ich weiß das alles.
    Natürlich ist das nicht das Problem, denn der Personalausweis dient nicht als Eselsbrücke. Dieser kleine Ausweis könnte außer den Farben Frankreichs und der blauen, unleserlichen Unterschrift des Polizeipräfekten leer sein. Nur die Geste zählt. Alle Kinder wissen das. Wenn kleine Mädchen mit dem Kaufmannsladen spielen, basiert das Spiel auf der Geste, mit imaginärem Geld zu bezahlen. Dem Beamten, der eine Ausweiskontrolle vornimmt, sind die auf dem Dokument vermerkten Einzelheiten wie Name und Unterschrift völlig egal; die Ausweiskontrolle ist ein Ablauf immer gleicher Bewegungen. Sie besteht in einer direkten Annäherung, einem angedeuteten Gruß und einer stets nachdrücklichen Aufforderung; der Ausweis wird gesucht und dem Beamten gereicht, er befindet sich nie sehr weit weg in den Taschen jener, die wissen, dass sie ihn vorweisen müssen; der Ausweis wird lange auf der einen und dann auf der anderen Seite betrachtet, viel länger als das Lesen der wenigen Worte, die er enthält, erfordern würde; er wird nur zögernd, fast wider Willen zurückgegeben, eine Durchsuchung kann darauf folgen, die Zeit bleibt stehen, die Sache kann eine ganze Weile dauern. Die Kontrolle muss geduldig und lautlos verlaufen. Jeder kennt seine Rolle; nur der Bewegungsablauf zählt. Ich werde nie kontrolliert, mein Gesicht ist zu offensichtlich. Die Leute, von denen man den Ausweis verlangt, den ich nie dabei habe, lassen sich an irgendetwas an ihrem Gesicht erkennen, das sich nicht messen lässt, aber allgemein bekannt ist. Die Logik der Ausweiskontrolle ist ein Zirkelschluss: Man überprüft die Personalien derer, deren Personalien man überprüft, und die Überprüfung bestätigt, dass jene, deren Personalien man überprüft, tatsächlich zu jener Gruppe gehören, deren Personalien man überprüft. Die Kontrolle ist eine Geste, eine auf die Schulter gelegte Hand, eine körperliche Demonstration der Ordnung. Das Ziehen an der Leine bringt dem Hund die Existenz seines Halsbands wieder in Erinnerung. Ich werde nie kontrolliert, mein Gesicht ist vertrauenerweckend.
    Ich wohnte also aus nächster Nähe einer Ausweiskontrolle bei, von mir verlangte man aber nichts, ich wurde nicht kontrolliert. Ich kenne meinen Namen sehr gut und habe nicht einmal diesen blauen französischen Ausweis dabei, der ihn beweist. Ich hatte einen Regenschirm. Dank eines Gewitters erlebte ich eine Ausweiskontrolle mit. Die dicken Wolken zerrissen, und der Regenschauer ging mit großer Heftigkeit gerade in dem Augenblick nieder, als ich über die Brücke ging. Die Tropfen hämmerten auf das bronzefarbene Wasser der Saône und riefen Tausende von kleinen, miteinander verschmelzenden Kreisen hervor. Auf der Brücke gab es keine Möglichkeit, sich unterzustellen, nichts bis zum anderen Ufer, aber ich hatte meinen Schirm geöffnet und ging ohne Eile weiter. Die Leute rannten durch den Regen, zogen sich die Jacke über den Kopf, hielten eine Tasche oder eine Zeitung hoch, die sich bald verflüssigen würde, manche versuchten sich sogar mit den Händen oder womit auch immer zu schützen, Hauptsache, sie vollzogen irgendein Ritual, um den Regen zu bannen. Alle rannten und brachten dabei zum Ausdruck, dass sie irgendwie Schutz suchten, und ich ging über die Brücke und leistete mir den Luxus, nicht zu rennen. Ich hielt den Schirm ganz fest, der mich vor den Tropfen schützte, und sie trommelten rings um mich herum hämmernd auf den

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