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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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Französisch als Wahlfach. In der Weimarer Republik firmierte die Schule als »Staatsrealgymnasium mit Höherer Landwirtschaftsschule«, 1947 hieß sie »Lessing-Oberschule« und 1968 wurde sie in »Erweiterte Lessing-Oberschule« umbenannt. Hannelores Schulweg zur Oberschule in der Adolf-Hitler-Straße 9 – heute Straße des Friedens 9 – betrug gute fünf Minuten. Außer Hannelore besuchten nur noch zwei weitere Mädchen das Jungengymnasium. Die eher schüchterne Renner-Tochter musste sich in dieser für sie so fremden Knabenwelt behaupten und lernen, sich selbstbewusst durchzusetzen. Aber sie lebte sich schneller ein als erwartet, erwies sich als belastbar und glänzte vor allem in den Fächern Mathematik und Deutsch. In der Schule konnte der Unterrichtsbetrieb nur mit Einschränkungen fortgeführt werden. Der Lehrkörper war durch die Kriegsteilnahme von mehr als acht Lehrern stark dezimiert, viele Schüler der oberen Klassen wurden notdienstverpflichtet und als Luftwaffenhelfer in Berlin und Dresden eingesetzt. Im Schuljahr 1944/45 konnte ein geordneter Unterricht kaum noch durchgeführt werden. Wie das Hauptbuch der Schule ausweist, gab es wegen Evakuierungen und Kinderlandverschickung ein ständiges Kommen und Gehen. Viele Schüler blieben nur einige Wochen, manche sogar nur wenige Tage an der Schule.
    Immerhin war die Lebensmittelversorgung in der Kleinstadt einigermaßen gesichert. Aber wenn die Renners geglaubt hatten, mit dem Umzug von Leipzig nach Döbeln wären sie dem Bombenkrieg entkommen, sahen sie sich getäuscht. Auch in Döbeln heulten nun ständig die Sirenen, auch hier gab es häufig Fliegeralarm, auch hier flohen die Menschen zum Schutz vor Bombenabwürfen in überfüllte Bunker. Verglichen mit Leipzig hatten die Bewohner der Kleinstadt aber immer noch großes Glück. Allein Ende Februar 1944 warfen bei einem Nachtangriff 700 britische Bomber 2300 Tonnen Bomben ab. 970 Menschen kamen ums Leben. In den kommenden Monaten erfolgten unter dem Codenamen »Haddock« weitere britische und amerikanische Bombardierungen, deren Ziel zunächst Industrie- und Verkehrsanlagen waren, später wurde auch der Stadtkern mit Flächenbombardements überzogen. Erst mit dem Einmarsch der US-Truppen am 18. April 1945 endete der Luftkrieg um Leipzig.
    * * *
    Schon seit Oktober 1938 gab es in Nazideutschland eine Kriegsdienstverpflichtung für Frauen und Mädchen. Nach dieser Notdienstverordnung konnten sie zur »Bekämpfung öffentlicher Notstände« herangezogen werden. Zu Beginn des Krieges im September 1939 wurden alle Deutschen beiderlei Geschlechts im Alter von 15 bis 70 Jahren »notdienstverpflichtet«, wenn sie nicht zwei oder mehr Kinder unter 15 Jahren im Haushalt zu betreuen hatten. Im Januar 1943 gab es dann eine neue Ausführungsverordnung. Danach mussten sich alle Frauen vom 17. bis zum 45. Lebensjahr beim zuständigen Arbeitsamt melden. Auch Irene Renner kam daran nicht vorbei. Ende Februar 1944 wies das Döbelner Arbeitsamt der Dame aus der Leipziger Gesellschaft eine »Tätigkeit« zu – für Irene ein radikaler Bruch mit ihrem bisherigen Leben als Direktorengattin. Fortan war sie als ungelernte Hilfskraft kriegsdienstverpflichtet. Sie, die körperliche Arbeit nicht kannte, jahrelang mehrere Hausangestellte befehligt und einen Mann an ihrer Seite hatte, der ihr Leben mit allen denkbaren Mitteln verschönert hatte, war nun gezwungen, halbtags am Fließband zu arbeiten, noch dazu im Vierer- und Sechserakkord. Weder ihre NSDAP-Mitgliedschaft bei unverbrüchlicher nationalsozialistischer Systemtreue, noch ihr starkes Engagement in der NS-Frauenschaft konnten sie vor dieser für sie so demütigenden körperlichen Tätigkeit bewahren. Mit Disziplin und dem festen Glauben daran, ihren Beitrag zum Sieg zu leisten, orientierte sie sich jedoch erstaunlich rasch um und erwies sich schließlich als geschickte Helferin in der Firma von Johannes Großfuß. Die Metall- und Lackwarenfabrik mit Sitz auf dem Burgstadel an der Kleinbauchlitzer Straße – heute Grimmaische Straße – hatte einst lackierte Wirtschaftsartikel wie Vogelkäfige, Ofenschirme und Kohlenkästen in prachtvoller Ausführung sowie Haus- und Küchengeräte, Waschtische und Bidets produziert. 1937 hatte die Firma vom Heereswaffenamt einen Auftrag zur Weiterentwicklung des Maschinengewehrs 34 erhalten. Nach mehreren Versuchsmodellen und nochmals verbesserten Varianten wurde dort das Maschinengewehr 42 entwickelt und bis Anfang 1945 produziert.

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