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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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mit schwachem oder indirektem Licht beleuchtet wurden. Eine Reservierung sicherte einen verträglichen Platz zum späten Abendessen. Diskutiert wurde niemals über Politik, niemals über den Mann an ihrer Seite und schon gar nicht über dessen Verfehlungen in der Spendenaffäre. Darüber schwieg sich Hannelore ebenso beharrlich aus, wie über die anderen Dinge, die ihre Seele belasteten. Für alle offensichtlich war indes, wie es gesundheitlich um sie bestellt war. Die Freundinnen erlebten hautnah, wie sehr Hannelore durch die Krankheit in ihrem Leben eingeschränkt war, wie viele Tabletten sie schlucken musste, um ihre Schmerzen zu lindern.
    Zur Überraschung ihrer Freundinnen las Hannelore bei den gemeinsamen Treffen oftmals Gedichte vor, die aus ihrer Feder stammten und die sie seit Jahren aufschrieb. Es waren Gedanken und Erinnerungen, Alltagsgeschichten über Menschen, die sie gut kannte, über Freundinnen und Freunde. Stundenlang konnte Hannelore aus diesem kleinen, von einem Gummiband zusammengehaltenen Buch rezitieren. Viele ihrer Freundinnen waren verblüfft, dass sie solch schriftstellerische Talente besaß und sprachlich so versiert war. Ihre Verzweiflung indes, ihre Schmerzen, ihre Einsamkeit, ihre Traurigkeit und auch ihre starke Eifersucht thematisierte sie nie – weder schriftlich noch mündlich. Lieber lenkte sie sich beim gemeinsamen Kartenspiel ab, dem sie stundenlang leidenschaftlich frönen konnte. Dabei entwickelte sie einen enormen Ehrgeiz, den sie offenbar von ihrer Mutter geerbt hatte. Hannelore war keine gute Verliererin, spielte auf Risiko und wurde in der Regel dafür belohnt. Auch die gewieftesten Kartenspielerinnen unter ihren Freundinnen hatten so gut wie keine Chance gegen sie.

Kapitel 10
VERZWEIFLUNG
    Als die Krankheitsschübe im Zuge der belastenden Spendenaffäre immer unerträglicher wurden, begab Hannelore sich erneut in ärztliche Behandlung. Unter falschem Namen wurde sie von einem renommierten Chefarzt untersucht, der sie mit seiner Diagnose überraschte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass alles dafür sprechen würde, dass eine Lichtallergie gar nicht bestünde. Aus seiner Sicht leide sie an einer ganz anderen Krankheit, für deren Behandlung es eines Psychotherapeuten bedurfte. Die unverarbeiteten Traumata hätten zu psychosomatischen Beschwerden geführt, deren Symptome man zwar bekämpfen, deren Ursachen man aber dringend beheben müsse. Doch davon wollte Hannelore nichts wissen. Sie brach jede weitere Behandlung ab und wandte sich wieder ihren Hausärzten zu, die ihre Version der Krankheitsgeschichte stützten. Es war seit Jahren Hannelores Methode, immer wieder aufs Neue Ärzte zu konsultieren, sich aber – wenn deren Diagnose nicht mit ihrem persönlichen Empfinden, mit ihrem Glauben an die Lichtallergie übereinstimmte –, ohne Begründung von ihnen abzuwenden.
    Allein im Umfeld des Kuratoriums ZNS gab es verschiedene Fachleute, die ihr medizinisch fundierte und therapeutisch untermauerte Ratschläge gaben. Aber alle Auffassungen über Art und Ursache ihrer beklagten Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen fruchteten nicht. Es zählte allein die Diagnose der behandelnden Hausärzte Gillmann und Möbius: Lichtallergie bzw. Lichtdermatose. Für diese Krankheit, unter der sie seit Jahren litt, gab es nach Auffassung der Patientin angeblich keine Heilung. Immer und immer wieder kam sie im Gespräch auf das Jahr 1993 zurück und verwies mit großem Nachdruck beinahe hasserfüllt auf die angebliche Fehlleistung ihres damaligen Hausarztes Dr. Lösel. Diesen Mann, der ihr einst das Pistolenschießen beigebracht und ihr Jahrzehnte hinweg bei kleineren Wehwehchen und ernsteren Erkrankungen zur Seite gestanden hatte, hielt sie für den Verantwortlichen der immer schlimmer werdenden Lichtallergie. Es sei sein Fehler bei der Medikamentierung gewesen, der auch zu starkem Haarausfall geführt hatte, was für die damals Sechzigjährige ein furchtbarer Schlag war. Über Nacht die wunderschönen Haare zu verlieren und auf eine Perücke angewiesen zu sein, bedeutete für Hannelore einen ungeheuren körperlichen und mentalen Einschnitt, unter dem sie bis zu ihrem Tode litt. Selbst als die alte Haarpracht nach einem Jahr wiederhergestellt schien, weigerte sie sich für alle Zeiten, auf eine Perücke zu verzichten. Die Perücke war ihr zu einem Schutzschild geworden, den man morgens aufzog und am Abend wieder absetzte. Nur noch selten, und nur innerhalb der eigenen vier Wände, zeigte

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