Die Frau an Seiner Seite
Kohl war ratlos. Das Einzige, was ihm blieb, war, durch seine internationalen Kontakte alles Menschenmögliche zu tun, um auf der ganzen Welt Ärzte zu finden, die die angeblich unheilbare Krankheit seiner Frau doch noch heilen konnten. Auch er scheiterte. Hannelore weigerte sich, die Wahrheit anzuerkennen, sich therapieren zu lassen und verwehrte auch ihrem Mann letztendlich den Einblick in ihr Seelenleben. Die Diagnose der Dermatologen, dass es sich nicht um Hautprobleme handelte, war dem Altkanzler bekannt, und er musste erkennen, wie ohnmächtig die Medizinwelt und auch er waren. Hannelore hatte sich in die Lichtallergie verbissen.
Einer der behandelnden deutschen Dermatologen berief sich zwar in einem Gespräch mit mir auf seine ärztliche Schweigepflicht, schickte mir aber später einen Leserbrief zu, der im Oktober 2001 in der medizinischen Fachzeitschrift Derma Forum sowie der Süddeutschen Zeitung erschienen war. Darin heißt es unter anderem: »Bei Frau Kohl wurde eine Lichtallergie vermutet. Gerade Lichtdermatosen sind jedoch gut definiert, gut diagnostizierbar und, in der Regel, auch gut therapierbar. Relativ einfache Untersuchungsmethoden wie Licht- und Hauttestungen sowie verschiedene Blutuntersuchungen erlauben es, eine eindeutige Diagnose zu stellen. Diese Untersuchungen gehören zum dermatologischen Standardrepertoire. Die in den Medien wiederholt zitierte Lichtallergie, die den fachspezifischen Ausdruck Lichturtikaria trägt, geht mit Quaddeln einher und juckt, aber brennt normalerweise nicht. Deshalb hat noch kein Patient einen Selbstmord begangen. Auch die Lichturtikaria ist heute einer Behandlung zugänglich, die es dem Patienten erlaubt, am Alltagsgeschehen teilzunehmen. Warum also der Suizid von Frau Kohl? Wir nehmen an, dass die für den Laien ins Feld geführte, nicht diagnostizierte Hauterkrankung nur eine Alibi-Diagnose darstellt. Jedoch wird auf diese Weise gleichzeitig ein ganzer Berufstand als unfähig diskriminiert. Dagegen wehren wir uns entschieden.« Unterzeichnet war der Leserbrief von den Dermatologen Professor Dr. med. Wolf-Ingo Worret und Univ. Professor Dr. med. Dietrich Abeck von der Klinik Dermatologie und Allergologie der Technischen Universität München.
Es ist davon auszugehen, dass der Dermatologe, der Hannelore behandelte und mir diesen Brief zuschickte, der Meinung der beiden Kollegen uneingeschränkt zustimmt.
Hatte sich Hannelore Kohl ein großes Selbsttäuschungsszenario erdacht? Konnte sie mit ihrem hohen Maß an Intelligenz und Abstraktionsvermögen die Technik der Selbsttäuschung so souverän beherrschen, dass außer einer Hand voll Mediziner jedermann ihre Krankheits- und Leidensgeschichte glaubte? Bediente sich Hannelore einer Illusion?
Diesen Eindruck muss jeder gewinnen, der sich eingehender mit der Krankheitsgeschichte Hannelore Kohls befasst. Eine Lesart, der die von mir zurate gezogenen Psychotherapeuten Reddemann und von der Stein jedoch heftig widersprechen. Übereinstimmend vertreten sie die Auffassung, dass Hannelore Kohl tatsächlich davon überzeugt war, an einer Lichtallergie zu leiden – und zwar ohne Wahnvorstellungen. Eine Wahnvorstellung träfe nur dann zu, wenn Hannelore unkorrigierbar von etwas überzeugt gewesen wäre, was nicht wirklich vorhanden gewesen sei. Mit Wahnvorstellungen verbunden sei das Bild der schizophrenen Psychose. Bei Hannelore handle es sich aber um eine psychosomatische Entwicklung. Ein Trauma. Hannelore habe nicht absichtlich vorgegeben, an einer Lichtallergie zu leiden, diese aber dankbar als Erklärung für ihre Symptome akzeptiert. Eigentlich hätten ihr die Ärzte sagen müssen, dass sie diese Krankheit nicht erklären können, aber gemeinsam mit der Patientin eine Erklärung finden wollen. Wenn Hannelore ihren Ärzten berichtet habe, dass sie von innen verbrenne, dann sei das etwas, das sie subjektiv tatsächlich so empfunden habe, meinen beide Experten. Wenn der behandelnde Arzt auf dem einen diagnostischen Weg nicht weiterkomme, sei er in der Pflicht, andere Wege zu beschreiten. Wenn eine Patientin eine Erfahrung macht, die sich nicht belegen lässt, heißt dies ja nur, dass die Medizin sich gewisse Symptome nicht erklären kann. Die subjektive Erfahrung der Patientin bleibt davon unberührt. Luise Reddemann wörtlich: »Ich bin weiterhin für die subjektive Sichtweise und die heißt bei Hannelore Kohl, ich habe eine Lichtallergie. Ich kann nicht ans Licht. Ich denke da als Psychoanalytikerin. Ihr
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