Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
Vom Netzwerk:
Lebens auseinandersetzen mussten.
    * * *
    Völlig erschöpft erreichten Mutter und Tochter nach den 15 gefahrvollsten Tagen und Nächten ihres Lebens die Kleinstadt Taucha nordöstlich von Leipzig. Von der Befreiung der Konzentrationslager durch die alliierten Truppen und der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 hatten die Flüchtenden noch nichts erfahren.
    Bei guten Bekannten in der Bahnhofstraße 19 fanden sie eine bescheidene Unterkunft. Um in den Genuss von Lebensmittelzuteilungen zu kommen, meldeten sich Mutter und Kind bei der amerikanischen Militärregierung im Rathaus, wo sie eine »Temporary Registration«, eine »Zeitweise Registrierungskarte«, erhielten. Im Buch von Peter Kohl ist dieses Dokument mit der Unterschrift der zwölfjährigen Hannelore abgedruckt. Hier fühlten sich die Flüchtlinge einigermaßen in Sicherheit und warteten händeringend auf ein Lebenszeichen des Vaters. Wo er sich in den Wochen bis Ende Mai 1945 aufhielt und was er in dieser Zeit tatsächlich machte, liegt völlig im Dunkeln und lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es bleibt sein Geheimnis, und wenn Hannelore darüber etwas wusste, schwieg sie sich bis zu ihrem Tod darüber aus. Belegt ist, dass das Haus in der Montbéstraße 41 im Februar 1945 bei einem Luftangriff der Alliierten völlig zerstört wurde. Alle Erinnerungsstücke aus der Zeit ihrer Kindheit, ihre Spielsachen, Kleider und Bücher waren nebst Möbeln und Wertgegenständen in Flammen aufgegangen.
    Warum Wilhelm Renner kurz vor Kriegsende keinerlei Anstalten unternommen hatte, seine Familie vor den heranrückenden sowjetischen Truppen in Sicherheit zu bringen, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Wie bereits erwähnt, hatte der Werksdirektor offenbar versuchen wollen, mit Unterstützung der neuen amerikanischen Machthaber zu retten, was nicht mehr zu retten war. Er glaubte ernsthaft, als ehemaliger Direktor eines nationalsozialistischen Musterbetriebs weiterhin an der Spitze des Unternehmens bleiben zu können – trotz erheblicher politischer Belastung. Nachdem sich die HASAG-Spitze in Person des SS-Manns Paul Budin, durch Flucht oder Selbstmord, aus der Verantwortung gezogen hatte, witterte der Pfälzer scheinbar die Chance, ganz an die Spitze einer auf Friedensproduktion umgestellten Munitionsfabrik zu gelangen. Doch nach ersten Gesprächen mit den Amerikanern hatte er erkennen müssen, dass sich sein Traum nicht erfüllen würde. Es ist erstaunlich, wie weltfremd er in dieser Situation agierte. Wäre die HASAG gleich in die Hände der sowjetischen Besatzungsmacht gefallen, hätte diese mit ihm und dem angetroffenen Leitungspersonal des Rüstungsunternehmens kurzen Prozess gemacht: Sie wären erschossen worden.

Kapitel 3
ABSTÜRZE
    Wie Phönix aus der Asche tauchte Wilhelm Renner am letzten Maitag des Jahres 1945 in Taucha auf – einem Ort, den er bestens kannte. Hier hatte sich bis vor kurzem noch ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald befunden, in dem über 400 der männlichen Zwangsarbeiter der HASAG untergebracht waren. In einem zweiten Außenlager waren 1200 meist jüdische Frauen eingepfercht gewesen, die ebenfalls in der Rüstungsindustrie Frondienste leisten mussten. Jetzt waren die Lager leer. Nur wenige Menschen hatten durch die Alliierten befreit werden können, die meisten Insassen waren auf den Todesmärschen ums Leben gekommen.
    Die Freude über das Wiedersehen in der Bahnhofstraße 19 war riesengroß. Hannelore weinte vor Glück, konnte sich kaum beruhigen und wollte den geliebten Vater gar nicht mehr loslassen. Die Familie war wieder komplett, nun galt es, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Nach Leipzig führte kein Weg zurück. Das Haus war zerstört, und längst waren erste spärliche Informationen über die Pläne der Alliierten nach außen gedrungen. Die »Großen Drei«, US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Diktator Josef Stalin, hatten auf ihrer Konferenz in Jalta vom 4. bis 11. Februar 1945 Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt. Zu den Beschlüssen, die auf der sowjetischen Halbinsel Krim getroffen worden waren, gehörten auch die Einrichtung eines Alliierten Kontrollrats und eine umfassende Entmilitarisierung und Entnazifizierung Deutschlands. Gemäß den Vereinbarungen des 1. Londoner Zonenprotokolls aus dem September 1944 und den Jalta-Beschlüssen würde die sächsische Metropole Bestandteil der sowjetischen

Weitere Kostenlose Bücher