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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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ihre eigene Vergewaltigung hat sie niemals öffentlich gesprochen, obwohl es immer wieder Mutmaßungen gab, dass sie wie Millionen Frauen und Mädchen dieses grausame Schicksal durchleiden musste. Auf meine konkrete Nachfrage bei einem unserer Spaziergänge bestätigte sie, selbst von den Russen vergewaltigt worden zu sein, ohne jedoch Details zu nennen. Fakt ist, dass sie damals nicht nur schwerste seelische Verwundungen, sondern vermutlich auch körperliche Verletzungen davon trug. Erst viel später stellte sich heraus, dass sie sich bei den Geschehnissen auf der Flucht, ob beim Fenstersturz oder bei der Vergewaltigung, bleibt ungeklärt, Absplitterungen an einem Brustwirbel zugezogen hatte. Bis zu ihrem Tod durfte sie die Wirbelsäule nicht belasten und musste schweres Tragen meiden. Die immer wieder auftretenden Schmerzen konnten nur durch Medikamente gelindert werden. Das hieß auch, sich immer wieder an diese schlimmen Erlebnisse zu erinnern, die ihre Würde als Mensch und als Frau schwer beschädigten.
    Während unmittelbare körperliche Folgen einer Vergewaltigung heilen, bleiben die seelischen Folgen ein Leben lang bestehen. Ohne therapeutische Unterstützung ist ein solches Trauma kaum zu bewältigen. Ob Hannelore Kohl jemals professionelle Hilfe in Anspruch genommen hat, ist nicht bekannt.
    Das Thema scheint im Hause Kohl durchaus präsent gewesen zu sein. So habe ich einmal in einem Haushalt der Familie Kohl das Buch von Gaby Köpp Warum war ich bloß ein Mädchen? gesehen. Darin beschreibt die Autorin ihr Schicksal als fünfzehnjähriges Mädchen auf der Flucht, das wiederholt sexuell missbraucht wurde, und wie sie von anderen Frauen an die Russen verraten und vorgeschoben wurde, um selbst verschont zu bleiben. Vergleichbare Berichte von vergewaltigten Mädchen, die manchmal sogar von den eigenen Müttern und Tanten »geopfert« wurden, gibt es seit einiger Zeit. Ob Hannelore Kohl solch rücksichtslosen Verrat erleben musste, ist allerdings nicht belegbar.
    Unabhängig von der wohl nie mehr genau festzustellenden Schwere, Art und Umständen der Misshandlungen durch die russischen Soldaten: Traumatisiert war Hannelore Kohl sicherlich durch ihre Kriegserlebnisse. Traumatisierten Menschen bleibt meist nur noch ein Ausweg: Sie sperren ihre Traumata weg, in einen dunklen Raum in ihrem Inneren, in den sie sich nicht mehr hineinwagen. Es ist ein Überlebensmechanismus, der im Laufe der Zeit dazu führen kann, dass man das Erlebte so vollkommen abspaltet, dass es irgendwann negiert wird. Doch Psychotherapeuten wissen, dass das Körpergedächtnis nichts vergessen kann und dass es nicht zu betrügen ist.
    Von Traumatisierung, also der Nicht-Verarbeitung furchtbarer persönlicher Erlebnisse, sprach nach dem Krieg niemand. Niemand half den Opfern. Nicht nur die Täter schwiegen nach dem Zweiten Weltkrieg, auch die Betroffenen redeten nicht – aus Scham und Angst. Das Thema Vergewaltigung war Jahrzehnte ein großes Tabu. Eine Aufarbeitung dieser Geschehnisse erfolgte eigentlich erst im Zusammenhang mit den Ereignissen im Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, die das Thema sexuelle Gewalt in Kriegen wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten und zu einer intensiven wissenschaftlichen Erforschung führten. Die Historikerin Birgit Beck-Heppner erinnert im Nachwort zu Gaby Köpps Lebensgeschichte Warum war ich bloß ein Mädchen? Das Trauma einer Flucht 1945 mit Recht daran, dass ein Einzelschicksal mit prägenden Erfahrungen auf der Flucht nicht losgelöst betrachtet werden kann von der Geschichte des Nationalsozialismus in den Jahren von 1933 bis 1945. So ging den verschiedenen Phasen von Evakuierung und Flucht der deutschen Bevölkerung der vom nationalsozialistischen Regime in Europa entfachte Zweite Weltkrieg mit all seinen schrecklichen Grausamkeiten in den besetzten Ländern voraus. Wir wissen heute, dass infolge des Krieges mehr als 60 Millionen Menschen starben, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, darunter sechs Millionen Juden, die vor allem in Osteuropa ermordet wurden. Allein in der Sowjetunion kamen zwischen 1941 und 1945 mehr als 25 Millionen Menschen im Rahmen des dort völkerrechtswidrig geführten Krieges, des Völkermordes an den Juden und der deutschen Germanisierungs- und Siedlungspolitik um. Daran muss erinnert werden, wenn es um das Leid der Vertriebenen und Flüchtlinge geht. Deren Erfahrung aber wird für sie selbst immer etwas bleiben, mit dem sie sich allein und Zeit ihres

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