Die Frau an Seiner Seite
Besatzungszone werden.
Eine Flucht in den Westen schien den Renners unumgänglich. Als die Sowjets am 2. Juli 1945 Leipzig übernahmen, waren Hannelore und ihre Eltern bereits ins pfälzische Mutterstadt unterwegs, das sie am 10. Juli nach einer abenteuerlichen Fahrt wohlbehalten erreichten. Dank seines vorzüglichen Organisationstalents und einer klugen Planung – soweit das in den Nachkriegswirren überhaupt möglich war –, lenkte Wilhelm Renners einstiger HASAG-Chauffeur die Familie auf verschlungenen Wegen durch das zerstörte Deutschland in Richtung Rhein. Wie es Vater Renner überhaupt gelungen war, Benzin für die Fahrt zu besorgen, bleibt sein Geheimnis. Auch unter welchen Umständen er es schaffte, von der amerikanischen in die französische Besatzungszone zu gelangen, wird nicht mehr aufzuklären sein. Von Hannelore waren in diesem Zusammenhang immer nur vage Andeutungen zu vernehmen. Überliefert ist indes, dass sich die Familie in Heidelberg einer entwürdigenden Entlausungsprozedur unterziehen musste. Doch was war das schon im Vergleich zu all den zurückliegenden Strapazen.
Gleichwohl bedeutete das Ende der Nazi-Diktatur für Hannelore und ihre Eltern einen erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Absturz. Mit dem Ende des gutbürgerlichen Lebens, mit dem Verlust des hohen gesellschaftlichen Ansehens, mit dem Sturz aus höchster beruflicher Verantwortung und Leistungsfähigkeit in die tiefsten Niederungen eines fast mittellosen Flüchtlings, damit mussten Wilhelm Renner und seine Familie erst einmal fertig werden. Die Renners hatten – wie Millionen Deutsche – alles verloren, ihr wertvolles Eigentum, ihre stilvollen Möbel, ihre teuren Kleider, Anzüge und Mäntel, ausgefallenes Schuhwerk und die perfekte Jagdausrüstung, den geliebten Sportwagen und das einmalige Reisemobil. Alle Status- und Machtsymbole, die berufliche Sicherheit, die das Selbstwertgefühl der Eltern so gestärkt hatten, waren abhandengekommen. Der tiefe Fall ins Nichts war vor allem für die Erwachsenen schwer zu verkraften.
In Mutterstadt angekommen, mussten sie einen neuerlichen Schlag hinnehmen. Wilhelms Elternhaus war eines der wenigen Gebäude des Ortes, die in Schutt und Asche lagen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Hannelore ihren Vater weinen. Immerhin war auf die Verwandtschaft in dieser bitteren Stunde Verlass. Bei Wilhelm Renners Patenonkel fanden die Flüchtlinge eine vorübergehende Bleibe. Obwohl im Haus in der Ritterstraße kaum Platz für weitere Bewohner war, überließen die Verwandten den Neuankömmlingen ein Zimmer. Der gerade mal ein Dutzend Quadratmeter große Raum wurde als Schlaf- und Wohnzimmer hergerichtet. Die wichtigsten Möbelstücke wie Stuhl, Tisch und Bett liehen sich die Renners aus. Gekocht wurde auf einem Gaskocher in einer Ecke des mit Decken abgeteilten Raumes. Waschgelegenheit und Toilette befanden sich außerhalb des Hauses auf dem Hof.
Dank des bescheidenen landwirtschaftlichen Nebenerwerbs von Wilhelm Renners Onkel und seiner Familie hatten Hannelore und ihre Eltern einige Vorteile. Es reichte gerade so zum Überleben, auch wenn das Essen sehr karg war und der Umgang mit den wenigen Nahrungsmitteln sorgsam rationiert wurde.
In Mutterstadt erfuhren die Renners viel Unterstützung, mit der nicht unbedingt zu rechnen gewesen war. So wurde aus dem Provisorium in der Ritterstraße schon bald eine etwas bessere Bleibe. In einer Gärtnerei gegenüber der bisherigen Unterkunft fanden die Renners eine Wohnung, die den bescheidenen Ansprüchen einer ausgebombten Flüchtlingsfamilie genügte. Hannelore, die in dieser Zeit zur Unterernährung neigte, wurde immer wieder zum Essen in der großen Verwandtschaft herumgereicht. Bei ihren Besuchen hinterließ die wohlerzogene Tochter aus gutem Hause einen tadellosen Eindruck. Immer mit einem freundlichen Lächeln, verstand sie es vorzüglich, Komplimente zu machen und sich für Speis und Trank artig zu bedanken. Sie fand immer lobende Worte für die Köchin und gab gerne zu erkennen, was ihr ganz besonders gut schmeckte. Das Mädchen mit den langen blonden Zöpfen war ein gern gesehener Gast und wurde anderen Kindern von den Erwachsenen gerne als nachahmenswertes Vorbild präsentiert. Hannelore selbst gefiel sich in der Rolle, den Bauern- und Handwerkskindern zeigen zu dürfen, wie der Gebrauch von Messer und Gabel und tadelloses Verhalten bei Tisch aussahen. Das erzeugte zwangsläufig Neid und Ablehnung bei den Gleichaltrigen, die gerne
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