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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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von den Russen angebotenen eigenen Sektor in der Hauptstadt Berlin. Einen Tag bevor Truppen der Roten Armee in das ehemals amerikanisch besetzte Gebiet einrückten und auch Döbeln am 6. Mai 1945 besetzten, verließen Irene und Hannelore Renner die Stadt. Gerüchte über die herannahenden Russen hatten in Döbeln schon lange kursiert, und die Angst vor den »Untermenschen«, die die nationalsozialistische Propaganda den Deutschen ununterbrochen eingebläut hatte, ins Unermessliche gesteigert. In dieser Situation fasste Irene Renner den gewagten Entschluss, sich zusammen mit ihrem Kind, einer Freundin und deren beiden Töchtern zu Fuß nach Leipzig durchzuschlagen. Auf einen Handwagen packten sie das Allernotwendigste und brachen im Morgengrauen des 5. Mai 1945 auf. Sie waren noch nicht lange unterwegs, als sie beim Durchwaten der Mulde, eines Nebenflusses der Elbe, von sowjetischen Patrouillen beschossen wurden. Sie hatten Glück und konnten unversehrt weiterziehen. Aber die lebensbedrohliche Situation brannte sich tief in die Seele der zwölfjährigen Hannelore ein.
    Auf den Straßen herrschte unbeschreibliches Chaos. Flüchtlingstrecks, die sich nur langsam vorwärtsschoben und immer wieder von Wehrmachtsfahrzeugen und Soldaten von den Wegen abgedrängt wurden. Die Straßen gesäumt von unzähligen Leichen. Vor Hannelores Augen spielten sich fürchterliche Szenen ab. Menschen, die nicht schnell genug von der Straße sprangen, wurden einfach überrollt. Greise und Kinder brachen entkräftet zusammen, sie zu begraben, dafür blieb keine Zeit. Denn immer wieder wurde auch ihre kleine Flüchtlingsgruppe von russischen Soldaten und Panzern eingeholt. Dabei kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall, den Hannelore niemals mehr vergessen sollte.
    Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und zum Teil auch junger Mädchen gehören zu den schlimmsten Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Die Zahl der Opfer wird nach neuesten Forschungen auf 1,9 Millionen geschätzt. In unzähligen Fällen wurden sie beim Einmarsch der sowjetischen Truppen nicht nur einmal, sondern mehrmals vergewaltigt, häufig gleich von mehreren Soldaten.
    Nie zuvor wurden innerhalb eines so kurzen Zeitraumes so viele Frauen und Mädchen von fremden Soldaten missbraucht wie 1944/45 nach dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland. Allein das Ausmaß ist beispiellos, fürchterlich auch die Brutalität, mit der die Frauen und Mädchen missbraucht wurden. Selbst Kinder und Greisinnen wurden nicht verschont. Alles Reden und Bitten, Flehen und Weinen half nicht. Nicht selten erfolgten die Vergewaltigungen vor den Augen der Angehörigen. Für Kinder ein besonders traumatisches Erlebnis. Im schlimmsten Fall wurden sie selbst Opfer einer oder mehrerer Vergewaltigungen – ein derartiges Schicksal berichtet etwa die Autorin Felicitas Achtelik-Reiter in ihrem Buch Ein deutsches Kind auf der Flucht , als Russen ein gerade einmal zwölfjähriges Mädchen vergewaltigten. Ebenso alt war Hannelore Renner zum Zeitpunkt ihrer Flucht.
    Aus vielen Berichten von betroffenen Frauen wissen wir: Vergewaltigt wurde im Dunkel der Nächte 1944/45 in Kellern, Schulen, Ställen, in geplünderten Wohnungen, auf Dachböden, einfach überall. Die Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Sowjetarmee endeten oftmals in einer Orgie der Gewalt, gelenkt von Hass, Wut, Verachtung und Rachegefühlen. Der emeritierte Professor für Staatsrecht und Völkerrecht Ingo von Münch hat in seinem eindrucksvollen Buch Frau komm! im Jahr 2010 das ungeheure Ausmaß dieser Verbrechen publiziert. Während erwachsene Frauen zumindest ahnen konnten, was auf sie zukommen könnte, waren die Kinder und jungen Mädchen völlig unvorbereitet. Zum Erduldenmüssen der Gewalt kam als zusätzlicher Schock, dass sie in dieser Situation erleben mussten, dass nicht einmal ihre eigenen Mütter sie vor den gewalttätigen Misshandlungen schützen konnten.
    Personalbogen der NSDAP Kreis Leipzig, in dem Wilhelm Renner am 14. März 1944 seine Funktion als Werkschutzleiter bei der HASAG, als Blockleiter sowie seine Mitgliedschaft im NSKK und NSFK bestätigt. Quelle: Sächsisches Staatsarchiv

    Auch Hannelore musste als Zwölfjährige traumatische Erfahrungen gleich mehrfach durchleiden. Wie sie selbst berichtete, wurde sie einmal von den Russen wie ein Zementsack aus dem Fenster geworfen. Über die genauen Umstände dieses Vorfalls schwieg sie sich bis zu ihrem Tod aus. Und auch über

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