Die Frau an Seiner Seite
sie hautnah kennengelernt hatte, flossen nicht selten in kritische Fragen ihres Mannes beim zuständigen Minister ein. Gerne erzählte Helmut Kohl, der selbst nie Soldat gewesen war, wie er später als Bundeskanzler durch Hannelores Hinweise mit sehr praktischen und realistischen Bemerkungen seinen Kabinettskollegen in die Bredouille brachte. Von den Söhnen lernte er, wie altmodisch und überholt Ausbildung und Ausstattung der Bundeswehr teilweise waren.
Doch bevor der Oppositionsführer überhaupt in die Nähe des Kanzleramtes kommen sollte, vergingen quälende Wochen und Monate auf der Bonner Bühne. Zu Beginn des Jahres 1982 spitzte sich der Konflikt in der Bonner Regierungskoalition immer mehr zu. Die anhaltenden Spannungen zwischen den beiden Koalitionsparteien, aber auch innerhalb der SPD wollten nicht enden. Parteitagsbeschlüsse der Sozialdemokraten standen in klarem Widerspruch zur Regierungspolitik Helmut Schmidts. In zentralen Fragen der deutschen Politik wie dem Umgang mit der Kernenergie und dem NATO-Doppelbeschluss – immerhin von Kanzler Schmidt mitinitiiert – blieb die SPD zerstritten. Im Sommer 1982 gab es erste Gerüchte über einen drohenden Koalitionsbruch. Helmut Kohl ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, wenngleich er keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, wer im Ernstfall die Nummer eins der Unionsparteien sein würde. Er war bereit, zu jeder Zeit politische Verantwortung zu übernehmen. Doch noch war die Regierung Schmidt/Genscher im Amt, noch konnten viele Monate vergehen, bis die Opposition zum Handeln aufgefordert war.
Im Sommer 1982 begab sich Familie Kohl wieder einmal in den Sommerurlaub nach Sankt Gilgen. Zum 13. Mal in Folge musste sich Hannelore damit abfinden, nur Randfigur im Begleittross ihres Mannes zu sein – und sich für die gestellten Fotomotive bereitzuhalten, die sie so sehr hasste. Über drei Wochen lang erlebte sie einen Ehemann, der mit allerhöchster Konzentration die Entwicklungen in Bonn verfolgte. Er schien es geradezu zu riechen, dass sich dort größere Eruptionen anbahnten, die ihn schon bald in eine neue Rolle katapultieren könnten. Die Tage waren geprägt von den unvermeidlichen stundenlangen Telefonaten, von endlosen Gesprächen mit Besuchern und hin und wieder einem Spaziergang auf ausgetretenen Pfaden – Urlaubsalltag, wie seit jeher. Hannelore konnte dem Ganzen nichts abgewinnen, kaum etwas bereitete ihr wirklich Freude. Gelegentliche Besuche bei ihrer österreichischen Freundin, einer Heimatdichterin, brachten wenigstens ein bisschen Abwechslung. Ohne Rücksicht auf Hannelores persönliche Interessen zog Helmut sein Programm durch, zu dem es aus seiner Sicht auch diesmal keine Alternative gab. Selten sehnte Hannelore das Ende des Sommerurlaubs so sehr herbei wie diesmal. Gleiches lässt sich von den Söhnen sagen, wenngleich es für Walter und Peter die letzten gemeinsamen Ferien mit den Eltern im ungeliebten Sankt Gilgen am Wolfgangsee sein würden.
Zurück in Bonn herrschte noch immer Ungewissheit über den Fortbestand der Regierungskoalition. Anfang September 1982 ging es dann aber Schlag auf Schlag. Auf Bitten des Kanzlers Helmut Schmidt hatte der damalige FDP-Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein Papier angefordert, das als »Scheidungspapier« in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen sollte. In diesem Papier hatte ein hoher Beamter des Wirtschaftsministeriums für seinen Minister ein »Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit« formuliert, das den Kanzler und seine Partei außerordentlich erboste. Schmidt war fest entschlossen, die vier FDP-Minister der Koalition zu entlassen, die ihrem Rauswurf allerdings durch ein eigenes Rücktrittsgesuch zuvorkamen. Damit war der Koalitionsbruch da, die sozial-liberale Scheidung vollzogen. Eine SPD-Minderheitsregierung hatte keine Chance.
Nun suchten der FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher und der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl das direkte Gespräch. Nachdem CDU-Präsidium und -Bundesvorstand am 20. September 1982 einstimmig beschlossen, Helmut Kohl zum Kanzler der neuen Bundesregierung aus Union und FDP vorzuschlagen, einigten sich die beiden Parteien auf ein konstruktives Misstrauensvotum zur Abwahl Helmut Schmidts. Die Entscheidung fiel am 1. Oktober 1982 im Deutschen Bundestag. Nach hitziger Debatte verkündete der damalige Bundestagspräsident Richard Stücklen kurz nach 15 Uhr das Ergebnis der Abstimmung über das
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