Die Frau an Seiner Seite
konstruktive Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt. Von den 495 gültig abgegebenen Stimmen erhielt Kohl 256 Ja-Stimmen. Das waren sieben Stimmen mehr als die 249, die er zur absoluten Mehrheit, die für die Wahl zum Bundeskanzler erforderlich war, benötigte. 235 Abgeordnete stimmten mit Nein, vier enthielten sich. Damit war Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt.
Hannelore und die Söhne Walter und Peter waren bereits am Vortag in Bonn angereist. Auf der Diplomatentribüne des Bundestages hatten sie die Debatten und den anschließenden Wahlgang verfolgt. Sie gehörten zu den ersten Gratulanten.
Hannelore war gegen ärztlichen Rat nach Bonn gekommen. Sie litt seit Tagen unter starken Kopfschmerzen und war mit Tabletten vollgepumpt. Bei einer Parteiveranstaltung im Ruhrgebiet war sie einige Wochen zuvor von einem Kameramann versehentlich so schwer an ihrer sensiblen Stelle im Halswirbelbereich verletzt worden, dass sie sich in ärztliche Behandlung hatte begeben müssen. Diesmal hätte es also wirklich gute Gründe gegeben, auf eine Präsenz in Bonn zu verzichten. Doch daran war nicht zu denken. Sie biss die Zähne zusammen und absolvierte täglich schmerzhafte Reha-Übungen, um einigermaßen fit zu werden. Angst hatte sie vor dem nun anstehenden Gratulationsmarathon, bei dem erhebliches Gedränge herrschte. Aber Sicherheitsbeamte und ihre Söhne schützten sie vor unliebsamen Stößen beim Bad in der Menge der Abgeordneten an der Seite des frisch gebackenen Kanzlers. In der Lobby des Bonner Bundeshauses knipste die Presse, wie sich Helmut und Hannelore in den Armen lagen. Auch die Söhne, die sich seit Jahren als Opfer seines Berufes fühlten, gratulierten ihrem Vater überschwänglich. Ungeachtet ihrer grundsätzlichen Skepsis präsentierte sich Hannelore dem Bonner Pressekorps und wich nicht von der Seite ihres Mannes. Nach dem Stress der letzten Monate, Wochen und Tage sah man Hannelore die Erleichterung an. Sie strahlte vor Glück und marschierte erstmals zusammen mit den Söhnen in die Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dort gab es Freudentränen, die stehenden Ovationen der Fraktionsmitglieder wollten nicht enden. Es waren bewegende Augenblicke, die Hannelore ihre Schmerzen beinahe vergessen ließen.
Am Abend dieses für ihren Mann bedeutsamsten Tages in seinem Leben ließ sie sich nicht davon abhalten, im Herrenhaus Buchholz in der Nähe Bonns hoch über dem Rheintal den Erfolg mit Champagner zu feiern. Hannelore zeigte sich ausgelassen, beinahe euphorisch und schien die neue Lage vorbehaltlos zu genießen. Die Opfer, die sie und die Kinder für die Karriere ihres Mannes hatten bringen müssen, waren wenigstens nicht umsonst gewesen. Helmut war am Ziel seiner Wünsche – sie hatte auf ihre Weise dazu beigetragen. Sie ahnte, dass mit diesem Amt einmal mehr neue Pflichten und Verantwortung auch auf sie zukommen würden. Sie hatte sich in ihrer Ehe immer auf Veränderung einstellen müssen, die sie nicht herbeigeführt hatte, also würde es auch diesmal gelingen. Was tatsächlich auf sie zukam, erschloss sich Hannelore am Tag der Kanzlerwahl sicher nicht in vollem Umfang. An der Seite ihres Mannes, der das wichtigste politische Amt übernommen hatte, das die Republik zu vergeben hat, musste sie ganz neue Wege gehen. Doch lange Zeit würde ihr nicht zur Eingewöhnung bleiben.
Für die Übernahme von Aufgaben und Pflichten durch die Frau des Bundeskanzlers sieht das Bonner Grundgesetz keinerlei Regeln vor. Hannelore musste ihre Rolle auf dem Bonner Parkett – wie alle Kanzlergattinnen – erst finden. Gerne hätte sie Ratschläge ihrer Vorgängerin entgegengenommen, wie sie das selbst 1998 beim Kanzler-Wechsel von Kohl zu Schröder dessen Frau Doris Schröder-Köpf anbot. Aber die langjährige gegenseitige Abneigung der beiden Spitzenpolitiker Schmidt und Kohl ließ es offenbar nicht zu, dass Hannelore nach dem Wechsel im Kanzleramt mit Schmidts Gattin ins Gespräch kam. Sie wechselten niemals ein Wort miteinander, was Hannelore oft bedauerte. Loki Schmidt war durch den Sturz ihres Mannes vom Kanzler-Thron vermutlich ebenso verletzt wie ihr Mann, der sich sichtlich überwinden musste, seinen Nachfolger zum neuen Amt zu beglückwünschen. Dass die selbstbewusste Hamburgerin Loki Schmidt nicht mal Hannelore die Hand reichte, stieß bei dieser auf großes Befremden. Die neue Bonner First Lady zeigte sich noch Jahre später enttäuscht über dieses Verhalten, das sie – bei aller politischen Konkurrenz –
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